Helfen Sie Katzen und Hunden, ihr gesündestes Leben zu führen
Veterinary Focus

Ausgabe nummer 33.1 Sonstiges Wissenschaft

Die Darm-Nieren-Achse bei der Katze

veröffentlicht 31/05/2023

Geschrieben von Stacie C. Summers und Jessica M. Quimby

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Português , Español , English und 한국어

Heute gibt es starke Evidenzen für signifikante Verbindungen zwischen Darm und Nieren und für eine Schlüsselrolle der gastrointestinalen Gesundheit bei der Behandlung von Nierenerkrankungen, wie uns dieser Artikel erläutert.

Geradkettige und verzweigtkettige Fettsäuren sind Produkte des Kolonstoffwechsels und haben unterschiedliche Wirkungen

Kernaussagen

Interaktionen zwischen Darm und Nieren können einen signifikanten Einfluss auf die Gesundheit beider Organsysteme haben, mit daraus folgenden klinischen Symptomen.


Katzen mit chronischer Nierenerkrankung (CNE) weisen eine Dysbiose auf, also eine veränderte Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota.


Urämische Toxine akkumulieren bereits in den frühen Stadien einer CNE; sie haben multiple schädliche systemische Folgen und sind mit der Progression der Erkrankung assoziiert.


Die Bekämpfung von Dysbiose und Akkumulation urämischer Toxine kann eine wichtige Behandlungsstrategie bei Katzen mit CNE sein.


Einleitung

Zunehmend mehr Forschungsergebnisse stützen das Konzept einer bei zahlreichen Spezies vorhandenen signifikanten Verbindung zwischen Darm und Niere (auch bekannt als die „Darm-Nieren-Achse“) (Abbildung 1). Und immer klarer wird zudem, dass beide Systeme wichtige wechselseitige Einflüsse haben, mit potenziell signifikanten klinischen Folgen. Die Tatsache, dass Katzen mit chronischer Nierenerkrankung eine Dysbiose aufweisen, stützt das Konzept, nach dem der Darm einen therapeutischen Angriffspunkt darstellt, mit dem Ziel, eine Verbesserung der Langlebigkeit und eine bessere Kontrolle von Komorbiditäten zu erreichen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über das aktuelle Verständnis der Darm-Nieren-Achse und beleuchtet Strategien für die potenzielle Verbesserung der Gesundheit der mikrobiellen Community des Darms und damit für eine Reduzierung der aus dem Darm stammenden schädlichen urämischen Toxine.

Die Darm-Nieren Achse bei der Katze

Abbildung 1. Die Darm-Nieren Achse bei der Katze. Es besteht eine enge Verbindung zwischen Darm und Nieren, und beide Systeme haben bedeutende wechselseitige Einflüsse mit potenziell signifikanten klinischen Folgen. 
© Redrawn by Sandrine Fontègne

Mikrobiom und Dysbiose

Das intestinale Mikrobiom wird definiert als die Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm, primär aus Bakterien bestehend. Diese Mikroorganismen besiedeln den Gastrointestinaltrakt und bilden dort ein Ökosystem mit komplexen Interaktionen untereinander und mit dem Wirt. Bei der Katze gibt es tausende von Darmbakterien-Phylotypen, die wiederum ein Trillionenheer von Zellen mit weitreichenden funktionellen Kapazitäten bilden. Dieses breite Spektrum verschiedener Mikroorganismen spielt eine wichtige Rolle für den Erhalt der Gesundheit des Wirts mit Hilfe verschiedener Produkte des bakteriellen Metabolismus und auf dem Wege einer Beeinflussung der Genexpression im Darm. Eine gesunde bakterielle Mikrobiota und eine intakte Kommunikation zwischen dem Wirt und den bakteriellen Metaboliten sind entscheidende Voraussetzungen für die Entwicklung und den Erhalt eines gesunden Immunsystems, die Assimilation von Nährstoffen aus der Nahrung, den Erhalt der Darmbarriere, die Nährstoffsynthese (z. B. kurzkettige Fettsäuren, Vitamin B12) und den Schutz gegen enteroinvasive pathogene Erreger 1.

Dysbiose wird definiert als ein Ungleichgewicht der intestinalen Mikrobiota mit Veränderungen der Zusammensetzung der Mikrobiota und ihrer metabolischen Aktivitäten. In vielen Situationen ist eine Dysbiose nicht nur ein Marker für eine Erkrankung, sondern trägt auch aktiv zur Pathologie bei 2. Ausführlich dokumentiert ist eine intestinale Dysbiose bei Menschen mit CNE und in Labormodellen, und es konnte nachgewiesen werden, dass eine Urämie einen negativen Einfluss auf das Mikrobiom hat, indem sie die intestinale Mikrobiota von einer eher gleichmäßig verteilten und komplexen Gemeinschaft verschiebt in Richtung einer einfacher strukturierten und von bestimmten Bakterienfamilien dominierten Gemeinschaft 2. Als Ursachen für eine intestinale Dysbiose bei Patienten mit CNE – neben dem direkten Effekt von Harnstoff und der nachfolgend erhöhten Produktion von Ammoniak durch Darmbakterien – gelten der häufige Einsatz von Antibiotika und Phosphatbindern, sowie diätetische Veränderungen, wie zum Beispiel eine herabgesetzte Faseraufnahme 2.

Stacie C. Summers

Kreatinin und Blutharnstoff-Stickstoff (BUN) sind die aus klinischer Perspektive am besten bekannten urämischen Toxine, in der Tat handelt es sich dabei aber nur um zwei Vertreter von etwa 146 potenziellen urämischen Toxinen.

Stacie C. Summers

Urämische Toxine

Der Begriff Urämie bezeichnet streng genommen die Akkumulation harnpflichtiger Substanzen im Blut infolge einer Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR), wird aber auch zur Beschreibung der daraus resultierenden klinischen Manifestationen verwendet. Auch wenn damit ganz allgemein entsprechende Imbalanzen von harnpflichtigen Elektrolyten, organischen gelösten Stoffen und Hormonen beschrieben werden, bezieht dieser Terminus auch die urämischen Toxine ein. Kreatinin und Blutharnstoff-Stickstoff (BUN) sind die aus klinischer Perspektive am besten bekannten urämischen Toxine, in der Tat handelt es sich dabei aber nur um zwei Vertreter von insgesamt etwa 146 potenziellen urämischen Toxinen 3. Viele dieser Substanzen werden aber nicht aktiv vom Körper reguliert, so dass ihre Konzentration mit abnehmender GFR progredient ansteigt. Auch für humane Patienten sind diese Substanzen besonders problematisch, da einige Toxine nicht mittels Hämodialyse zu entfernen sind 3. Von besonderem Interesse sind urämische Toxine, bei denen es sich um Abfallprodukte des Proteinkatabolismus durch die Mikrobiota des Kolons handelt (z. B. Indoxylsulfat (IS), p-Cresolsulfat (pCS)), da man davon ausgeht, dass diese Substanzen nicht nur negative pathophysiologische Effekte haben, sondern auch zum klinischen Syndrom der Urämie beitragen.

Indol und p-Cresol sind Vorstufen urämischer Toxine und Produkte des Proteinkatabolismus, die im Kolon über die Fermentation von Proteinen durch die Mikrobiota gebildet werden 4,5. Indole stammen aus der über das Enzym Tryptophanase katalysierten Verstoffwechslung von diätetischem Tryptophan durch die intestinale Mikrobiota (Escherichia coli (E. coli), Proteus vulgaris und Bacteroides spp.) (Abbildung 2). P-Cresol entsteht beim partiellen Abbau von Tyrosin und Phenylalanin durch zahlreiche intestinale, obligat oder fakultativ anaerobe Mikroorganismen, einschließlich der Genera Bacteroides, Lactobacillus, Enterobacter, Bifidobacterium und Clostridium. Die beiden Vorstufen Indol und P-Cresol werden im Darm absorbiert und anschließend in der Leber über eine Sulfonierung in die proteingebundenen urämischen Toxine Indoxylsulfat (IS) bzw. p-Cresolsulfat (pCS) umgewandelt. Diese Toxine werden in der Regel über die Niere ausgeschieden und akkumulieren folglich bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion in der systemischen Zirkulation. Eine Dysbiose trägt dann zusätzlich zur Produktion von aus dem Kolon stammenden urämischen Toxinen bei, so dass ein Teufelskreis entsteht 4,5. Die bei CNE-Patienten auftretende Protein-Malassimilation im Dünndarm sorgt für eine Zunahme der Menge an Proteinsubstrat im Darmlumen, was wiederum die Vermehrung proteolytischer Bakterien fördert, die Vorstufen urämischer Toxine produzieren. Eine Obstipation kann aufgrund der anhaltenden Retention fäkalen Materials im Kolon ebenfalls eine Rolle spielen. So weisen zum Beispiel obstipierte humane Patienten mit CNE höhere Konzentrationen urämischer Toxine auf als entsprechende Patienten mit normalen fäkalen Scores 6.

Produktion von Indolen im Kolon

Abbildung 2. Produktion von Indolen im Kolon, metabolische Umwandlung in Indoxylsulfat in der Leber, und Ausscheidung über die Niere.
© Redrawn by Sandrine Fontègne

Schädliche Effekte urämischer Toxine

Auch wenn die erhöhte Konzentration einer Substanz per se nicht unbedingt pathologische Folgen haben muss, haben zahlreiche urämische Toxine, die bei Patienten mit CNE akkumulieren, unterschiedliche schädliche Auswirkungen. So wird zum Beispiel die Akkumulation von IS und pCS bei CNE mit der Auslösung der Produktion freier Radikale in Verbindung gebracht, die das Renin Angiotensin Aldosteron System (RAAS) aktivieren, welches dann eine renale Fibrose fördert, indem es eine Entzündung und eine Schädigung renaler Tubuluszellen induziert und das Fortschreiten der glomerulären Sklerose stimuliert 7. Weitere unerwünschte Effekte urämischer Toxine tragen zur Morbidität und zur Mortalität der Patienten bei. Dazu gehören Beeinträchtigungen des Nervensystems, eine verminderte Produktion von Erythropoetin, ein reduzierter Knochenumsatz, eine beschleunigte Muskelatrophie und ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen 7 (Abbildung 3).

Multiple schädliche Effekte urämischer Toxine sind dokumentiert

Abbildung 3. Multiple schädliche Effekte urämischer Toxine sind dokumentiert.
© Redrawn by Sandrine Fontègne

Fäkale Fettsäuren bei CNE

Weitere Metaboliten der Mikrobiota des Kolons, deren Gleichgewicht durch eine intestinale Dysbiose gestört werden kann, sind Fettsäuren. Die von der Mikrobiota des Kolons gebildeten kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) bestehen aus den geradkettigen Fettsäuren Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure, Pentansäure und den verzweigtkettigen Fettsäuren (BCFA) Isopentansäure und Isobuttersäure (Abbildung 4). Geradkettige Fettsäuren sind die Hauptendprodukte der saccharolytischen Fermentation komplexer Polysaccharide (einschließlich nicht verdaulicher diätetischer Fasern) und des Abbaus von Schleim epithelialen Ursprungs und sind essenzielle Nährstoffe mit entscheidender Bedeutung für die intestinale Gesundheit und die Gesundheit des Wirtes insgesamt 8. Diese Fettsäuren haben mehrere vorteilhafte lokale und systemische Effekte, einschließlich der Förderung der Motilität des Kolons, der Förderung des Lipid- und Glukosestoffwechsels, der Regulation des Blutdrucks und antiinflammatorischer Eigenschaften. Die verzweigtkettigen Fettsäuren (BCFAs) repräsentieren dagegen nur einen kleinen Anteil an der Gesamtheit der im Darm gebildeten kurzkettigen Fettsäuren und entstehen, wenn Proteine unabsorbiert durch den Dünndarm passieren und von diesen Proteinen stammende verzweigtkettige Aminosäuren durch die Mikrobiota im Kolon fermentiert werden 8. Verzweigtkettige Fettsäuren und weitere Produkte der Proteinfermentation im Kolon gelten als schädlich für den Darm, da sie als Antreiber von Entzündung dienen und negative Auswirkungen auf die Darmmotilität haben können 8. Bei Menschen geht eine Dysbiose im Zusammenhang mit einer CNE mit einer Abnahme der SCFA-bildenden Mikrobiota einher, während verzweigtkettige Fettsäuren nach Kenntnis der Autorinnen diesbezüglich bislang noch nicht spezifisch untersucht wurden.

Geradkettige und verzweigtkettige Fettsäuren

Abbildung 4. Geradkettige und verzweigtkettige Fettsäuren sind Produkte des Kolonstoffwechsels und haben unterschiedliche Wirkungen.

Was wissen wir über die Situation bei Katzen?

In der Tiermedizin gibt es relativ wenige Informationen über das Mikrobiom und urämische Toxine sowie deren Verbindung zu Nierenerkrankungen. Bei Katzen wissen wir heute jedoch etwas mehr über diese Zusammenhänge. Untersuchungen zufolge weisen Katzen mit CNE im Vergleich zu gesunden Katzen (≥ 8 Jahre) eine Dysbiose auf, die insbesondere gekennzeichnet ist durch eine verminderte Diversität und einen verminderten Reichtum der fäkalen Mikrobiota auf der Basis von Untersuchungen mittels 16S rRNA-Gensequenzierung 9. Zudem beobachtet man bei Katzen mit CNE einen Akkumulation von aus dem Darm stammenden urämischen Toxinen in der systemischen Zirkulation. So konnten zum Beispiel bei Katzen mit CNE signifikant erhöhte Konzentrationen von IS nachgewiesen werden (Abbildung 5), die unter anderem auch mit dem Fortschreiten der Erkrankung assoziiert sind 10,11,12. Auch wenn sich die pCS-Konzentrationen in einer Studie zwischen gesunden Gruppen und CNE-Gruppen nicht in statistisch signifikantem Maße unterschieden, so wurden die höchsten Konzentrationen tendenziell bei den Katzen mit CNE festgestellt 9. Interessant ist, dass selbst Katzen mit CNE im IRIS-Stadium 2 signifikant höhere Konzentrationen urämischer Toxine aufweisen als gesunde Kontrollkatzen, ein Befund, der nahelegt, dass dieses Ungleichgewicht bereits relativ früh im Krankheitsprozess entsteht.

Bei der Untersuchung der fäkalen Konzentrationen geradkettiger Fettsäuren (Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure, Pentansäure) und verzweigtkettiger Fettsäuren (Isopentansäure und Isobuttersäure) bei Katzen mit CNE und bei gesunden Kontrollkatzen, zeigte sich, dass die CNE-Gruppe erhöhte fäkale Konzentrationen der Isopentansäure aufwies, und zwar insbesondere bei den Katzen mit CNE in den IRIS-Stadien 3 und 4 9. Auch Katzen mit Muskelatrophie wiesen höhere fäkale Konzentrationen verzweigtkettiger Fettsäuren auf im Vergleich zu Katzen ohne Muskelatrophie. Weitere Studien zeigen, dass Katzen mit CNE ein gestörtes fäkales Gallensäureprofil 13 und einen Mangel verschiedener essenzieller Aminosäuren im Serum 14 aufweisen. In der Summe sprechen alle diese Befunde für das Vorliegen einer Proteinmalassimilation bei Katzen mit CNE, zweifellos sind aber weitere Untersuchungen erforderlich, um das Zusammenspiel von Darm und Niere bei dieser Spezies noch besser zu verstehen. Letztlich stützen die Ergebnisse der genannten Studien aber das Konzept, nach dem das Mikrobiom des Darmes ein therapeutischer Angriffspunkt bei Katzen mit CNE sein kann, mit dem Ziel, die Produktion schädlicher aus dem Darm stammender urämischer Toxine zu reduzieren und eine gesündere mikrobielle Gemeinschaft im Darm wiederherzustellen.

Indoxylsulfat hat bei Katzen mit CNE eine signifikant höhere Konzentration als bei gesunden älteren Katzen

Abbildung 5. Indoxylsulfat hat bei Katzen mit CNE eine signifikant höhere Konzentration als bei gesunden älteren Katzen 9). 
© Redrawn by Sandrine Fontègne

Der Darm als potenzieller therapeutischer Angriffspunkt

Urämische Toxine

Aufgrund des potenziell negativen Effektes von aus dem Darm stammenden urämischen Toxinen und der aufgrund ihrer Proteinbindung mangelhaften Möglichkeit, diese Toxine mittels Hämodialyse zu entfernen, fokussiert man sich in der Humanmedizin auf verschiedene Strategien zur Reduktion der Bildung von IS und pCS, zum Beispiel über eine Modulation des mikrobiellen Wachstums im Kolon auf diätetischem Weg, mit Hilfe von Präbiotika und/oder Probiotika und durch die gezielte Adsorption urämischer Toxine mit Hilfe spezifischer Adsorbenzien 4,5. Die Entstehung von IS und pCS lässt sich unter anderem durch eine selektive Erhöhung saccharolytischer Bakterien und eine Reduzierung proteolytischer Bakterien im Kolon modulieren sowie durch die Optimierung der Darmpassagezeit (wobei das therapeutische Angehen von Obstipation ein wichtiger Aspekt ist). Präbiotika und Probiotika beeinflussen nachweislich die Zusammensetzung der Mikrobiota im Kolon und werden bei humanen CNE-Patienten erfolgreich zur Senkung der IS- und pCS-Konzentrationen eingesetzt. Gezeigt werden konnte darüber hinaus, dass eine Erhöhung des diätetischen Kohlenhydrat- und Fasergehalts und eine Senkung der diätetischen Proteinaufnahme zu einer Abnahme der IS- und pCS-Konzentrationen führen. Eingesetzt werden bei diesen Patienten aber auch Adsorbenzien wie Sevelamerhydrochlorid und AST-120, um die intestinale Absorption dieser Toxine zu begrenzen 15,16. In der Tiermedizin gibt es bislang nur wenig veröffentlichte Literatur über Strategien zur Reduktion aus dem Darm stammender urämischer Toxine bei CNE-Patienten. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Humanmedizin scheinen weitere Untersuchungen des Darms als ein potenzielles therapeutisches Angriffsziel aber durchaus ihre Berechtigung zu haben.

Das zentrale Dogma hinter der historischen Proteinmodifikation in therapeutischen Nierendiätnahrungen in der Veterinärmedizin ist die Reduktion urämischer Toxine und klinischer Symptome einer Urämie durch gezielte Senkung der diätetischen Proteinlast. Aufgrund des Mangels an entsprechenden Studien gibt es derzeit aber keine starken Evidenzen, die zeigen würden, dass eine Begrenzung der diätetischen Proteinzufuhr tatsächlich zu einer Reduktion urämischer Toxine oder einer Linderung klinischer Symptome einer Urämie führt. Vor dem Hintergrund dieser nach wie vor unklaren Kenntnislage erklären sich auch die jüngsten Kontroversen um den idealen Proteingehalt in Nierendiätnahrungen, insbesondere bei Katzen 17,18. Letztlich gibt es nur sehr wenige Daten über die Auswirkungen unterschiedlicher diätetischer Proteingehalte auf urämische Toxine bei Katzen. In einer Studie mit gesunden Katzen war eine proteinreichere Nahrung (10,98 g/100kcal ME gegenüber 7,44 g/100 kcal ME) mit erhöhten IS Konzentrationen und relativ höheren pCS-Konzentrationen verknüpft 19. Und eine Studie an Katzen mit CNE im IRIS-Stadium 1, die drei Nahrungen mit unterschiedlich hohen Proteingehalten erhielten, zeigt, dass die Nahrung mit dem höchsten Proteinanteil (8,01 g/100 kcal ME gegenüber 6,95 g/100 kcal ME und 5,65 g/100 kcal ME) zu nachweisbar höheren IS- und pCS-Konzentrationen führt 20.

Jessica M. Quimby

Die Tatsache, dass Katzen mit chronischer Nierenerkrankung eine Dysbiose aufweisen, stützt das Konzept, nach dem der Darm einen therapeutischen Angriffspunkt darstellt, mit dem Ziel, eine Verbesserung der Langlebigkeit und eine bessere Kontrolle von Komorbiditäten zu erreichen.

Jessica M. Quimby

Der ideale Proteingehalt von Nierendiätnahrungen für Katzen wird also nach wie vor recht kontrovers diskutiert, nicht zuletzt deshalb, weil Katzen als obligate Karnivoren gelten und somit einen im Vergleich zu Hunden und Menschen höheren Proteinbedarf haben. Verschiedene Studien legen nahe, dass ältere Katzen generell mehr Protein benötigen könnten als jüngere Katzen, und viele Katzen mit CNE entwickeln mit der Zeit eine Abnahme von Körpergewicht, Body Condition Score und/oder Muskelmasse. Vor dem Hintergrund sämtlicher heute verfügbarer Informationen sollte die Empfehlung für die diätetische Proteinzufuhr bei Katzen mit CNE wahrscheinlich lauten, den Proteingehalt der Nahrung sehr sorgfältig auszubalancieren zwischen dem Aspekt einer Begrenzung der Produktion urämischer Toxine auf der einen Seite und dem Aspekt der Aufrechterhaltung der fettfreien Körpermasse auf der anderen Seite. Ein Schlüssel zum Erfolg bei der Fütterung einer Nahrung mit modifiziertem Proteingehalt ist daher die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Kalorienaufnahme.

Präbiotika und Probiotika werden bei Katzen mit CNE in der Hoffnung eingesetzt, dass sie die Gesundheit des Darmmikrobioms verbessern und die Konzentrationen der aus dem Darm stammenden urämischen Toxine im Blut senken. Im Rahmen einer Studie wurde die Anwendung eines kommerziellen probiotischen Supplements (Enterococcus faecium SF68) bei Katzen mit CNE evaluiert, mit dem Ergebnis, dass dieses Ergänzungsfuttermittel keinen nennenswerten Effekt auf das Darmmikrobiom oder die Serumkonzentrationen der wichtigsten aus dem Darm stammenden urämischen Toxine hatte 21. Eine weitere Studie evaluierte den Effekt fermentierbarer Fasern (eines Präbiotikums) in experimentellen Nahrungen auf die fäkale Mikrobiota bei Katzen mit CNE und fand heraus, dass ihr Mikrobiom im Vergleich zu dem gesunder Katzen gegenüber Veränderungen resistent war 22. Die Fasern reduzierten die relativen Plasmakonzentrationen urämischer Toxine bei den CNE-Katzen im Vergleich zu gesunden Katzen. Dieser Befund stützt die These, dass Veränderungen des Darmmikrobioms die Produktion von aus dem Darm stammenden urämischen Toxinen reduzieren können. Für den praktischen Einsatz in der täglichen Praxis sind aber speziesspezifische, evidenzbasierte Strategien erforderlich.

In zahlreichen Ländern sind heute einige kommerzielle Produkte erhältlich, wie zum Beispiel Probiotika/Präbiotika, die das Mikrobiom positiv beeinflussen sollen, indem sie ein Milieu generieren, in dem weniger urämische Toxine gebildet werden, und ein auf Tierkohle basierendes Adsorbens, das Indol im Verdauungstrakt binden soll, um so dessen Aufnahme in den Körper zu verhindern. Dieses Adsorbens reduziert nachweislich die Indoyxlsulfat-Konzentration bei älteren Katzen nach achtwöchiger Applikation 23, entsprechende Daten bei Katzen mit CNE über die potenzielle IS-senkende Wirksamkeit beider genannten Produkte liegen bislang aber noch nicht vor.

Obstipation

Über die tatsächliche Prävalenz von Obstipation im Zusammenhang mit CNE bei Katzen liegen bislang keine belastbaren Daten vor, anekdotischen Berichten zufolge scheint es sich aber durchaus um ein häufiges medizinisches Problem bei chronisch nierenkranken Katzen zu handeln (Abbildung 6). Vorläufige Ergebnisse einer Untersuchung des Kotabsatzverhaltens bei Katzen weisen darauf hin, dass Defäkationen bei CNE-Patienten tendenziell seltener erfolgen. Die Ursache von Obstipation bei diesen Katzen ist wahrscheinlich eine Dysfunktion im Bereich des Flüssigkeitsgleichgewichtes, möglicherweise kombiniert mit einer abnormen GI-Motilität. Da die Harnkonzentrierungsfähigkeit der chronisch kranken Nieren eingeschränkt ist und der Patient mit einer chronischen subklinischen Dehydratation zu kämpfen hat, wird zur Kompensation Wasser aus dem Kolon reabsorbiert. Hypokaliämie und die Anwendung von Phosphatbindern können ebenfalls zu Obstipation beitragen 24,25. Die Behandlung einer Obstipation umfasst eine Korrektur der Dehydratation und der Elektrolytungleichgewichte, eine Diät, eine Fasersupplementierung sowie die Gabe osmotischer Laxanzien oder Darmmotilität anregender Substanzen wie Lactulose. Neben den klinischen Effekten kann eine Obstipation aber noch weitere negative Auswirkungen haben und ist wahrscheinlich ein klassisches Beispiel für die Darm-Nieren-Achse. Wie oben erwähnt weisen obstipierte humane Patienten mit CNE höhere Konzentrationen urämischer Toxine auf als nierenkranke Patienten mit normalen fäkalen Scores, und diese Toxine haben wiederum negative Auswirkungen auf die gastrointestinale Motilität 8. In Labormodellen der CNE zeigt eine Behandlung mit Lactulose eine signifikante Besserung bei urämischen Toxinen, Kreatininwerten und sogar histopathologischen Nierenbefunden 26.

Obstipation

Abbildung 6. Obstipation ist ein häufiger Befund bei Katzen mit CNE und sollte entsprechend therapiert werden, da ohne Behandlung zahlreiche negative Folgen entstehen können. 
© The Ohio State University Veterinary Medical Center

Schlussfolgerung

Obwohl in diesem Bereich noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten ist, gibt es bereits heute zunehmende Hinweise darauf, dass der Gastrointestinaltrakt und Nieren eng interagieren und sich gegenseitig beeinflussen, in Gesundheit wie in Krankheit. Vor dem Hintergrund, dass viele Katzen mit chronischer Niereninsuffizienz eine Dysbiose ihres intestinalen Mikrobioms aufweisen, gilt es als wahrscheinlich, dass der Darm in Zukunft in noch sehr viel höherem Maße zum Zielorgan proaktiver und spezifischer therapeutischer Bemühungen werden wird, mit dem Ziel, die Langlebigkeit und die Lebensqualität betroffener Katzen zu verbessern.

Literatur

  1. Sharon G, Garg N, Debelius J, et al. Specialized metabolites from the microbiome in health and disease. Cell. Metab. 2014;20:719-730.

  2. Vaziri ND, Wong J, Pahl M, et al. Chronic kidney disease alters intestinal microbial flora. Kidney Int. 2013;83:308-315.

  3. Rosner M, Reis T, Husain-Syed F, et al. Classification of uremic toxins and their role in kidney failure. Clin. J. Am. Soc. Nephrol. 2021;16(12):1918-1928.

  4. Evenepoel P, Meijers BK, Bammens BR, et al. Uremic toxins originating from colonic microbial metabolism. Kidney Int. Suppl. 2009:S12-19.

  5. Nallu A, Sharma S, Ramezani A, et al. Gut microbiome in chronic kidney disease: challenges and opportunities. Transl. Res. 2017;179:24-37.

  6. Ramos CI, Armani RG, Canziani ME, et al. Bowel habits and the association with uremic toxins in non-dialysis-dependent chronic kidney disease patients. J. Ren. Nutr. 2020;30(1):31-35.

  7. Lau WL, Savoj J, Nakata MB, et al. Altered microbiome in chronic kidney disease: systemic effects of gut-derived uremic toxins. Clin. Sci. (Lond) 2018;132:509-522.

  8. Summers S, Quimby JM, Phillips RK, et al. Preliminary evaluation of fecal fatty acid concentrations in cats with chronic kidney disease and correlation with indoxyl sulfate and p-cresol sulfate. J. Vet. Intern. Med. 2020;34:206-215.

  9. Summers SC, Quimby JM, Isaiah A, et al. The fecal microbiome and serum concentrations of indoxyl sulfate and p-cresol sulfate in cats with chronic kidney disease. J. Vet. Intern. Med. 2019;33:662-669.

  10. Cheng FP, Hsieh MJ, Chou CC, et al. Detection of indoxyl sulfate levels in dogs and cats suffering from naturally occurring kidney diseases. Vet. J. 2015;205:399-403.

  11. Chen CN, Chou CC, Tsai PSJ, et al. Plasma indoxyl sulfate concentration predicts progression of chronic kidney disease in dogs and cats. Vet J. 2018;232:33-39.

  12. Liao YL, Chou CC, Lee YJ. The association of indoxyl sulfate with fibroblast growth factor-23 in cats with chronic kidney disease. J. Vet. Intern. Med. 2019;33:686-693.

  13. Summers S, Quimby J, Winston J. Fecal primary and secondary bile acids in cats with chronic kidney disease. J. Vet. Int. Med. 2020;34:29-34.

  14. Summers SC, Quimby J, Blake A, et al. Serum and fecal amino acid profiles in cats with chronic kidney disease. Vet. Sci. 2022;9(2):84.

  15. Lin CJ, Pan CF, Chuang CK, et al. Effects of sevelamer hydrochloride on uremic toxins serum indoxyl sulfate and p-cresyl sulfate in hemodialysis patients. J. Clin. Med. Res. 2017;9:765-770.

  16. Yamamoto S, Kazama JJ, Omori K, et al. Continuous reduction of protein-bound uraemic toxins with improved oxidative stress by using the oral charcoal adsorbent AST-120 in haemodialysis patients. Sci. Rep. 2015;5:14381.

  17. Polzin DJ, Churchill JA. Controversies in Veterinary Nephrology: renal diets are indicated for cats with International Renal Interest Society Chronic Kidney Disease Stages 2 to 4: The Pro View. Vet. Clin. North Am. Small Anim. Pract. 2016;46:1049-1065.

  18. Scherk MA, Laflamme DP. Controversies in Veterinary Nephrology: renal diets are indicated for cats with International Renal Interest Society Chronic Kidney Disease Stages 2 to 4: The Con View. Vet. Clin. North Am. Small Anim. Pract. 2016;46:1067-1094.

  19. Summers S, Quimby J, Gagne J, et al. Effect of dietary protein on serum concentrations of gut-derived uremic toxins in healthy cats. J. Vet. Intern. Med. 2021;35:3069.

  20. Ephraim E, Jewell DE. High protein consumption with controlled phosphorus level increases plasma concentration of uremic toxins in cats with early chronic kidney disease. J. Food Sci. Nutr. 2021;DOI:10.24966/FSN-1076/100096.

  21. Summers S. Assessment of novel causes and investigation into the gut microbiome in cats with chronic kidney disease (Publication No. 27837106) [Doctoral dissertation 2020, Colorado State University). ProQuest Dissertations & Theses Global. 

  22. Hall JA, Jackson MI, Jewell DE, et al. Chronic kidney disease in cats alters response of the plasma metabolome and fecal microbiome to dietary fiber. PLoS One 2020;15:e0235480.

  23. Mottet J, Kowollik N. Renaltec attenuates serum levels of indoxyl sulfate in geriatic cats. In: Proceedings, BSAVA Congress, Birmingham, UK, 2019.

  24. Benjamin SE, Drobatz KJ. Retrospective evaluation of risk factors and treatment outcome predictors in cats presenting to the emergency room for constipation. J. Feline Med. Surg. 2019:1098612X19832663.

  25. Quimby J, Lappin M. Evaluating sucralfate as a phosphate binder in normal cats and cats with chronic kidney disease. J. Am. Anim. Hosp. Assoc. 2016;52:8-12.

  26. Sueyoshi M, Fukunaga M, Mei M, et al. Effects of lactulose on renal function and gut microbiota in adenine-induced chronic kidney disease rats. Clin. Exp. Nephrol. 2019;23:908-919.

Stacie C. Summers

Stacie C. Summers

Dr. Summers besitzt die Board Certification für Small Animal Internal Medicine und ist zurzeit Assistant Professor an der Oregon State University Mehr lesen

Jessica M. Quimby

Jessica M. Quimby

Dr. Quimby schloss ihr Tiermedizinstudium 2003 an der University of Wisconsin-Madison Mehr lesen

Andere Artikel in dieser Ausgabe

Ausgabe nummer 33.1 veröffentlicht 28/06/2023

Fäkale Mikrobiota-Transplantation bei GI-Erkrankungen

Die fäkale Mikrobiota-Transplantation wird zunehmend als eine praktikable Option zur Behandlung verschiedener akuter und chronischer gastrointestinaler Probleme bei Hunden betrachtet, wie uns Linda Toresson erläutert.

von Linda Toresson

Ausgabe nummer 33.1 veröffentlicht 21/06/2023

Atypischer Hypoadrenokortizismus beim Hund

Morbus Addison ist vielleicht nicht die erste Möglichkeit, an die man denkt, wenn ein Hund mit gastrointestinalen Symptomen zur Untersuchung vorgestellt wird, sollte als Differenzialdiagnose aber durchaus berücksichtigt werden, wie uns Romy Heilmann erläutert.

von Romy M. Heilmann

Ausgabe nummer 33.1 veröffentlicht 14/06/2023

Giardien-Infektion bei Hunden

Giardien-Infektionen werden bei Hunden häufig festgestellt, aber die Entscheidung, ob es sich dabei im Einzelfall um einen bedeutsamen Befund handelt, wirft in der täglichen Praxis ebenso oft Fragen auf wie die Wahl der besten therapeutischen Strategie. Dieser Artikel möchte praktischen Tierärzten und Tierärztinnen einige Antworten geben.

von Rolf R. Nijsse und Paul A.M. Overgaauw

Ausgabe nummer 33.1 veröffentlicht 07/06/2023

PLE bei Hunden: Ursachen und Behandlung

Proteinverlustenteropathie ist ein heterogenes Syndrom bei Hunden, und jeder Einzelfall muss individuell angegangen werden.

von Sara A. Jablonski