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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 33.1 Verdauungstrakt

Atypischer Hypoadrenokortizismus beim Hund

veröffentlicht 21/06/2023

Geschrieben von Romy M. Heilmann

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Português , Español , English , ภาษาไทย und 한국어

Morbus Addison ist vielleicht nicht die erste Möglichkeit, an die man denkt, wenn ein Hund mit gastrointestinalen Symptomen zur Untersuchung vorgestellt wird, sollte als Differenzialdiagnose aber durchaus berücksichtigt werden, wie uns Romy Heilmann erläutert.

© Shutterstock

Atypischer Hypoadrenokortizismus beim Hund

Kernaussagen

Hunde mit typischem Hypoadrenokortizismus werden in der Regel mit einem charakteristischen klinischen Bild und eindeutigen labordiagnostischen Befunden vorgestellt, so dass die Diagnose oft einfach ist.


Atypischer Hypoadrenokortizismus geht oft mit unspezifischen, schwankenden, chronischen gastrointestinalen Symptomen einher, die durch Stress ausgelöst oder verstärkt werden können und oft auf eine symptomatische Behandlung ansprechen.


Bei Hunden mit atypischem Hypoadrenokortizismus ist eine „internistische Detektivarbeit“ erforderlich, um zur richtigen Diagnose zu gelangen.


Beide Formen des Hypoadrenokortizismus – typisch und atypisch – haben im Allgemeinen eine sehr gute Langzeitprognose.


Einleitung

Hypoadrenokortizismus in seiner typischen Form (Morbus Addison) ist oft eine einfach zu stellende Diagnose, insbesondere, wenn charakteristische Symptome und typische labordiagnostische Veränderungen vorliegen und zudem noch gut zum Vorbericht und zum Signalement des Patienten passen. Allerdings kann das klinische Bild auch sehr unspezifisch sein, insbesondere bei Hunden mit spontanem atypischem Hypoadrenokortizismus. Dazu gehören schwankende, chronische gastrointestinale Symptome, die durch stressige Ereignisse ausgelöst oder verstärkt werden können und oft auf eine Flüssigkeitstherapie und eine symptomatische Behandlung ansprechen. Ein Hypoadrenokortizismus, insbesondere in seiner atypischen Form, kann also primäre gastrointestinale Erkrankungen imitieren und sollte deshalb bei Hunden mit vagen und unspezifischen gastrointestinalen Symptomen nie auf der Liste der Differenzialdiagnosen fehlen.

Einige Hintergrunddetails

Terminologie

Hypoadrenokortizismus oder Morbus Addison (Addison-Krankheit) entwickelt sich, wenn die Nebennierenrinde nicht in der Lage ist, ausreichende Mengen endogener Glukokortikoide und insbesondere in typischen Fällen auch Mineralokortikoide zu bilden und freizusetzen (Abbildung 1) 1. Im Unterschied zur typischen Form des Hypoadrenokortizismus, bei der es infolge der gleichzeitig bestehenden Glukokortikoid- und Mineralokortikoid-Defizienz zu einem klinisch und labordiagnostisch relativ charakteristischem Erscheinungsbild kommt, stellt die atypische Form des Hypoadrenokortizismus beim Hund aufgrund ihrer Seltenheit und der subtileren und unspezifischen klinischen Symptomatik eine größere diagnostische Herausforderung dar 1,2. Atypische Fälle sollten sorgfältig überwacht werden, da ein Übergang von der atypischen Form zu einem typischen Hypoadrenokortizismus möglich ist 2. Bei Hunden mit dem typischen klinischen Bild, bei denen es zu klinischer Dekompensation mit Dehydratation und hypovolämischem Schock (Addison-Krise) kommen kann, kann diese Progression von einer ausschließlichen Glukokortikoid-Defizienz lediglich vermutet werden auf der Grundlage des retrospektiven Eindrucks eines langsamen Einsetzens der Erkrankung und entsprechender klinischer Symptome. In Fällen eines typischen Hypoadrenokortizismus ist es allerdings schwierig, nachzuweisen, dass es sich tatsächlich um eine solche Progression einer atypischen Form handelt. Rasseprädispositionen werden bei Standardpudel, portugiesischem Wasserhund, Nova Scotia Duck-Tolling Retriever, Soft-Coated Wheaten Terrier und Bearded Collie beschrieben, beide Formen der Erkrankung können grundsätzlich aber bei Hunden jeder Rasse und jeden Alters auftreten 2,3,4,5. Im Vergleich zu typischen Fällen sind Hunde mit atypischem Hypoadrenokortizismus tendenziell eher älter.

Klassifikation des spontanen Hypoadrenokortizismus beim Hund

Abbildung 1. Klassifikation des spontanen Hypoadrenokortizismus beim Hund.

Ätiologie 

Ein Hypoadrenokortizismus kann grundsätzlich von jeder Erkrankung verursacht werden, die zu einer Reduktion der Bildung und Freisetzung von Hormonen aus der Nebennierenrinde führt. Die häufigste Ursache ist ein immunvermittelter Prozess, der die funktionelle Masse der hormonproduzierenden Nebennierenrinde reduziert, und zwar insbesondere in der mittleren bis inneren Glukokortikoid-produzierenden Zone (Zona fasciculata) 5,6,7. Weitere, weniger häufige oder auch sehr seltene Ursachen eines primären Hypoadrenokortizismus sind granulomatöse Erkrankungen (z. B. Mykosen), vaskuläre Ursachen (z. B. Blutung, Ischämie), Amyloidablagerungen (insbesondere bei Rassen mit Prädisposition für Amyloidose), Nekrosen oder Tumormetastasen 8,9,10. Ein sekundärer (zentraler) Hypoadrenokortizismus kann durch Erkrankungen ausgelöst werden, die zu einer Beeinträchtigung der Bildung und Freisetzung von Corticotropin-Releasing Hormon (CRH) im Hypothalamus und/ oder adrenocorticotropem Hormon (ACTH) in der Hypophyse führen, wie zum Beispiel Entzündungen, Infektionen, Traumata und Neoplasien 1,11.

Pathophysiologie

Bei der typischen Form des Hypoadrenokortizismus führt eine unkompensierte, kombinierte Glukokortikoid- und Mineralokortikoid-Defizienz zu charakteristischen Elektrolytverschiebungen im Plasma (Hyperkaliämie, Hyponatriämie) 1. Im Unterschied hierzu liegt bei der atypischen Form entweder nur eine Glukokortikoid-Defizienz zugrunde oder eine kombinierte Kortikosteroid-Defizienz (Glukokortikoid- und Mineralokortikoid-Defizienz) ohne Elektrolytverschiebungen, vermutlich infolge Aldosteron-unabhängiger Kompensationsmechanismen (z. B. renale Kompensation) 1,2.

Nachweis eines Hypoadrenokortizismus – der große Täuscher

Klinische Symptome

In Anbetracht der unzähligen, vielfältigen und verschiedenen Wirkungen endogen freigesetzter Glukokortikoide im Körper (Abbildung 2), einschließlich der zahlreichen Effekte auf kardiale und gastrointestinale Funktionen 12,13, zeigen Hunde mit atypischem Hypoadrenokortizismus in der Regel sehr vage, schwankende und unspezifische klinische Symptome, wie Leistungsintoleranz (z. B. bei Agility), Lethargie, Schwäche, Inappetenz, Gewichtsverlust oder eine mäßige Körperkondition (Abbildung 3), Vomitus (mit oder ohne Hämatemesis) oder Regurgitation, Diarrhoe (gelegentlich hämorrhagisch), abdominale Schmerzen und Inkontinenz 1,2,13,14.

Wirkungen endogener Glukokortikoide (Kortisol) auf verschiedene Gewebe

Abbildung 2. Wirkungen endogener Glukokortikoide (Kortisol) auf verschiedene Gewebe. Im Falle einer Glukokortikoid-Defizienz (Hypoadrenokortizismus), können diese Wirkungen bei erhöhtem Stress nicht induziert werden (rote Pfeile), so dass es zu einer insuffizienten Antwort des Körpers auf Stress kommt (graue Pfeile).
© Romy M. Heilmann/redrawn by Sandrine Fontègne

Klinisches Erscheinungsbild eines 9½ Jahre alten Boxerrüden mit atypischem Hypoadrenokortizismus

Abbildung 3. Klinisches Erscheinungsbild eines 9½ Jahre alten Boxerrüden mit atypischem Hypoadrenokortizismus. Vorgestellt wurde der Hund zur Abklärung chronischer gastrointestinaler Symptome mit einem Vorbericht über chronisches Erbrechen, Hämatemesis, intermittierende Hyporexie, Diarrhoe und Gewichtsverlust (14 % über 3 Monate). Die klinische Untersuchung war unauffällig bis auf einen niedrigen Body Condition Score (BCS 2,5/9).
© Ms Wendler, Bischofswerda, SN, Germany

Labordiagnostik

Die minimale Datenbasis besteht aus einem großen Blutbild, einem biochemischen Profil und einer Harnanalyse (mit Beurteilung des Harnsediments und je nach Indikation auch einer bakteriellen Kultur mit antibiotischem Empfindlichkeitstest und Bestimmung des Urin-Protein/Kreatinin-Verhältnisses). Meist ergeben diese Untersuchungen bei Hunden mit atypischem Hypoadrenokortizismus lediglich sehr subtile und unspezifische Veränderungen. Ein häufiger Befund ist jedoch eine geringgradige aregenerative Anämie, da Kortisol die Erythropoese steigert und den Erythrozytenumsatz reduziert. Fehlen im Blutbild jedoch Hinweise auf ein zu erwartendes Stressleukogramm (oder besteht bei individuellen Zellzahlen sogar ein gegenteiliger Trend, oft bezeichnet als „umgekehrtes Stressleukogramm), kann dies ein subtiler Hinweis auf die Erkrankung sein, der ohne weiterführende spezifische Beurteilung leicht übersehen wird (Box 1). Vor dem Hintergrund des gegenteiligen Effektes von Glukokortikoiden auf die Anzahl von Neutrophilen und Lymphozyten passt auch ein Neutrophile/Lymphozyten-Quotient von ≤ 2,3 zur Verdachtsdiagnose eines Hypoadrenokortizismus 15.

Box 1. Relevante hämatologische Befunde bei einer 6 Jahre alten Hündin mit Hypoadrenokortizismus. Zu beachten sind das „umgekehrte Stressleukogramm“ mit geringgradiger Lymphozytose, Eosinophilie und ein verringerter Neutrophile/Lymphozyten-Quotient (NLQ) von 1,31. Jeder NLQ ≤ 2,3 sollte den Verdacht in Richtung Hypoadrenokortizismus lenken.

Parameter Ergebnis Einheit Referenzintervall 
Erythrozytogramm
Hämatokrit 33,8 % 37,3-61,7
MCV 61,2 fl 61,6-73,5
MCH 22,3
pg
21,2-25,9
Leukozytogramm
Neutrophilenzahl 7,53* x109/l 2,95-11,64
Lymphozytenzahl 5,75* x109/l 1,05-5,10
Monozytenzahl 0,67 x109/l 0,16-1,12
Eosinophilenzahl 1,25 x109/l 0,06-1,23
Basophilenzahl 0,07 x109/l 0,00-0,10
Thrombozyten
Thrombozytenzahl 368 K/µl 148-484
MPV 9,7 fl 8,7-13,2

*N/L-R = 1,31

 

Hypoglykämie (oder eine niedrig-normale Blutglukosekonzentration), Hypoalbuminämie, Hypocholesterinämie und erhöhte Leberenzymaktivitäten im Serum (mit einem hepatozellulären Muster der Enzymerhöhung, d. h., ALT stärker erhöht als ALP) können bei Hunden mit der atypischen Form nachzuweisen sein, ebenso wie eine gering- bis mittelgradige prärenale Azotämie 1. Die Unterscheidung einer prärenalen von einer renalen Azotämie kann jedoch schwierig sein, da Hunde mit Hypoadrenokortizismus oft eine verringerte Fähigkeit zur Harnkonzentration aufweisen (spezifisches Harngewicht < 1.030). Im besten Fall lenken einige oder alle dieser labordiagnostischen Befunde den Verdacht in Richtung eines Hypoadrenokortizismus oder sollten zumindest ein Anlass dafür sein, diese Erkrankung als mögliche Ursache des klinischen Bildes nicht a priori auszuschließen, bevor weitere Differenzialdiagnosen (z. B. Proteinverlustenteropathie, chronische Hepatopathie) mit Hilfe weiterführender, invasiverer diagnostischer Maßnahmen einschließlich Allgemeinanästhesie abgeklärt werden konnten. Wichtig ist dies vor allem, weil Stress im Zusammenhang mit invasiven diagnostischen Maßnahmen bei betroffenen Hunden mit nicht erkanntem Hypoadrenokortizismus möglicherweise eine lebensbedrohende Dekompensation auslösen kann. Hyperkaliämie und Hyponatriämie, oft erkennbar anhand eines herabgesetzten Natrium/Kalium Quotienten (Na/K < 27), sind charakteristische Befunde der typischen Form des Hypoadrenokortizismus, sie fehlen aber bei der atypischen Form (Box 2) 4. Digitale Tools, wie zum Beispiel Algorithmen, die Ergebnisse verschiedener Routineuntersuchungen berücksichtigen, können in der Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Diagnose des atypischen Hypoadrenokortizismus leisten 16.

Box 2. Serumbiochemieprofil mit Elektrolyten des Boxers aus Abbildung 3. Außer einer geringgradigen Hypoalbuminämie und niedrig-normalen Serumcholesterin- und Glukosekonzentrationen ist das biochemische Serumprofil unauffällig. Vermutet wurde eine Proteinverlustenteropathie.

Parameter Ergebnis Einheit Referenzintervall
Glukose 97 mg/dl 57-126
Cholesterin 167 mg/dl 139-398
SDMA 11 µg/dl 0-14
Creatinin 1,1 mg/dl 0,5-1,5
BUN 21 mg/dl 9-29
Phosphat 1,1 mmol/l 0,9-1,7
Calcium 2,3 mmol/l 2,1-2,9
ALT 72 U/l 25-122
ALP 37 U/l 14-147
Gesamtprotein 5,9 g/dl 5,4-7,6
Albumin 2,3 g/dl 2,8-4,3
Bilirubin 0,2 mg/dl 0-0,4
Natrium 145 mmol/l 142-153
Kalium 4,2 mmol/l 3,9-5,8

 

Endokrinologische Diagnostik

Die Messung des Basalkortisolspiegels eignet sich als Screening-Test (Box 3). Liegt die Basalkortisolkonzentration über einem Cut-off-Wert von 2 µg/dl (55 nmol/l), kann ein Hypoadrenokortizismus ausgeschlossen werden (Sensitivität 100 % und Spezifität 63-78 %) (Box 4) 17,18. Liegt die Basalkortisolkonzentration unterhalb von 2µg/dl, sollte im nächsten Schritt ein ACTH-Stimulationstest durchgeführt werden, um einen Hypoadrenokortizismus entweder zu bestätigen oder auszuschließen 1,17,18 – post-ACTH-Serumkortisolwerte < 2 µg/dl sind diagnostisch, während ein post-ACTH-Kortisolspiegel > 6 µg/dl die Diagnose ausschließt. Beim Hund kann ein Hypoadrenokortizismus auch mit Hilfe eines Low-Dose-ACTH-Stimulationstests (Verwendung von 1 µg/kg von Cosyntropin IV anstelle der Standarddosis von 5 µg/kg) zuverlässig diagnostiziert werden 19. Die Messung der Konzentration des endogenen ACTH (eACTH) kann zur Bestätigung eines Hypoadrenokortizismus und zur weiteren Klassifizierung der Erkrankung als primärer oder sekundärer Hypoadrenokortizismus herangezogen werden (Box 5) 1,15. Primärer Hypoadrenokortizismus (Ursprung in der Nebenniere) geht mit einer normalen oder hohen eACTH-Konzentration einher, während ein sekundärer Hypoadrenokortizismus (zentraler Ursprung in Hypothalamus und/oder in der Hypophyse) mit einer nicht nachweisbaren oder niedrigen eACTH-Konzentration einher geht. In jüngster Zeit hat der Urin-Kortisol-Kreatinin-Quotient (UCCR) an Bedeutung gewonnen für die Diagnose des Hypoadrenokortizismus bei Hunden. Einer Studie zufolge hat ein niedriger UCCR (≤ 2, gemessen mittels Radioimmunoassay oder ≤ 10, gemessen mittels Chemolumineszenz-Immunoassay) eine hohe Sensitivität und eine hohe Spezifität bei der Unterscheidung zwischen Hunden mit Hypoadrenokortizismus und Hunden mit einer Erkrankung, die einen Hypoadrenokortizismus imitiert 20.

Box 3. Schilddrüsen- und Gastrointestinalprofil des Boxers mit atypischem Hypoadrenokortizismus aus Abbildung 3. Zu beachten sind die niedrigen Konzentrationen von Gesamt-Thyroxin und freiem Thyroxin, die Hypocobalaminämie (ohne vorangegangene Supplementierung) und die Hypokortisolämie (unterhalb des Cut-off-Wertes von 55 nmol/l, der für das Screening auf Hypoadrenokortizismus verwendet wird). Diese Ergebnisse sollten einen ACTH-Stimulationstest nach sich ziehen.

Parameter Ergebnis Einheit Referenzintervall
Schilddrüsenprofil
Gesamt T4 0,8 µg/dl 1,0-4,0
Freies T4  < 0,3 ng/dl 0,6-3,7
Gastrointestinales Profil 
Spec cPL 142 µg/dl 0-200
cTLI 37 µg/dl 8,5-35
Cobalamin 1355 pmol/l 173-599
Folsäure 25,9 nmol/l 21,1-54
Kortisol (Basal)
6,5
nmol/l 25-125

 

Diagnostischer Algorithmus für endokrinologische Tests bei Hunden mit Verdacht auf Hypoadrenokortizismus

Box 4. Diagnostischer Algorithmus für endokrinologische Tests bei Hunden mit Verdacht auf Hypoadrenokortizismus. Das Flussdiagramm zeigt das vorgeschlagene diagnostische Screening auf Hypoadrenokortizismus (linke Seite), wenn ein mittel- oder geringgradiger klinischer Verdacht besteht. Voraussetzung für die korrekte Interpretation des bei mittel- bis hochgradigem klinischem Verdacht durchgeführten diagnostischen Tests (rechte Seite), ist ein Ausschluss jeglicher Behandlung (z. B. Glukokortikoide (auch topisch) oder Azol-Antimykotika) innerhalb eines Zeitraumes von vier Wochen vor dem Test. Die meisten Hunde mit Hypoadrenokortizismus haben Basal- und post-ACTH-Serumkonzentrationen von Kortisol unter 2 µg/dl (55 nmol/l). ACTH-stimulierte Kortisolkonzentrationen im Serum über 2 µg/dl (> 55 nmol/l) aber unter 6 µg/dl (< 165 nmol/l) sind nicht eindeutig und spiegeln eine gewisse Reservekapazität der Nebenniere wider. In diesen Fällen sollten potenzielle Ursachen einer Nebennierensuppression abgeklärt werden.

Diagnostischer Algorithmus für die weitere Beurteilung des Nebennierenhormonstatus bei Hunden mit atypischem Hypoadrenokortizismus

Box 5. Diagnostischer Algorithmus für die weitere Beurteilung des Nebennierenhormonstatus bei Hunden mit atypischem Hypoadrenokortizismus. Wenn der ACTH-Stimulationstest die Diagnose eines Hypoadrenokortizismus bestätigt, insbesondere, wenn die ACTH-stimulierte Kortisolkonzentration im Serum unter 2 µg/dl liegt, kann das endogene ACTH (eACTH) gemessen werden, um zwischen primärem (adrenalem) und sekundärem (zentralem) Hypoadrenokortizismus zu unterscheiden. Auf der Basis des Fehlens jeglicher Elektrolytverschiebungen sowie der Messung des prä- und post-ACTH-stimulierten Aldosteronspiegels im Serum kann unterschieden werden zwischen atypischem Hypoadrenokortizismus mit ausschließlicher Glukokortikoid-Defizienz und Fällen mit begleitender (kompensierter) Mineralokortikoid-Insuffizienz oder Mineralokortikoid-Defizienz. Bei Hunden mit typischem Hypoadrenokortizismus (bestätigte Hyperkaliämie und/oder Hyponatriämie) wird eine Mineralokortikoid-Defizienz vermutet und in der Regel nicht mittels Aldosteronmessung im Serum bestätigt.

Eine Mineralokortikoid-Defizienz ohne Hyperkaliämie und/oder Hyponatriämie, die vermutlich primär über renale Mechanismen kompensiert wird, kann durch Messung des Serumspiegels von Aldosteron vor und nach der ACTH-Stimulation nachgewiesen werden (Box 6). Bei Hunden mit atypischem Hypoadrenokortizismus unterstützt dieser Test die Unterscheidung zwischen einer ausschließlichen Glukokortikoid-Defizienz und einer kombinierten Glukokortikoid- und Mineralokortikoid-Defizienz, aber ohne Elektrolytveränderungen 21. Schilddrüsenprofile können bei Hunden mit Hypoadrenokortizismus erhöhte Serum-TSH-Spiegel zeigen, und in einigen Fällen auch niedrige Thyroxinkonzentrationen (Box 3). Diese Veränderungen spiegeln aber keine echte Hypothyreose wider, und die Konzentrationen werden sich in der Regel innerhalb von Wochen (bis zu 4 Monaten) nach Beginn der Behandlung des Hypoadrenokortizismus wieder normalisieren 22.

Box 6. Prä- und post-ACTH-stimulierte Kortisol- und Aldosteronkonzentrationen im Serum des Boxers aus Abbildung 3. Weder die Kortisol- noch die Aldosteronkonzentration stiegen nach der ACTH-Stimulation an. Dies bestätigt sowohl eine Glukokortikoid- als auch eine (kompensierte) Mineralokortikoid-Defizienz bei diesem Hund. 

Parameter Ergebnis Einheit Referenzintervall
ACTH-Stimulationstest (Serumkortisol)
Kortisol (basal) < 2,8 nmol/l 25-125
Kortisol (post-ACTH)
< 2,8
nmol/l
> 165
ACTH-Stimulationstest (Serumaldosteron)
Aldosteron (basal) < 20 pmol/l 0-393
Aldosteron (post-ACTH) < 20 pmol/l 82-859

 

Bildgebende Diagnostik

Röntgenaufnahmen des Thorax und des Abdomens liefern bei Hunden mit Hypoadrenokortizismus in der Regel keine wichtigen diagnostischen Erkenntnisse, außer im Rahmen der Abklärung eines Megaösophagus im Zusammenhang mit Hypoadrenokortizismus, sie spielen aber eine gewisse Rolle für den Ausschluss einiger Differenzialdiagnosen. Die Ultraschalluntersuchung des Abdomens, einschließlich einer sorgfältigen Beurteilung beider Nebennieren, verläuft in vielen Fällen ebenfalls unauffällig, sie kann aber gelegentlich auf einen Hypoadrenokortizismus hindeuten, wenn die Nebennieren einen geringen Durchmesser aufweisen (Abbildung 4). Empfohlen wird die Sonographie darüber hinaus in entsprechenden Verdachtsfällen zur Abklärung seltener Ursachen eines Hypoadrenokortizismus wie Neoplasien, Infarkte oder Blutungen der Nebennieren 1.

Sonogramm der linken Nebenniere eines Hundes mit Hypoadrenokortizismus

Abbildung 4. Sonogramm der linken Nebenniere eines Hundes mit Hypoadrenokortizismus. Zu beachten ist die reduzierte Größe der Nebenniere (dorsoventraler Durchmesser 2,6 mm). Im Allgemeinen weist ein maximaler dorsoventraler Durchmesser der linken Nebenniere von < 2,8 mm auf Hypoadrenokortizismus hin, dabei muss aber auch das Körpergewicht des Hundes berücksichtigt werden.
© Texas A&M University

Behandlung des atypischen Hypoadrenokortizismus

Einleitung der Therapie

Hunde mit atypischem Hypoadrenokortizismus sind in der Regel klinisch stabil und können ambulant behandelt werden. Ergeben sich bei der klinischen Untersuchung jedoch Hinweise auf eine Dehydratation, sollte der Patient zumindest über eine kurze Dauer eine geeignete Flüssigkeitsersatztherapie erhalten (balancierte Elektrolytlösung) sowie gegebenenfalls eine symptomatische Behandlung (z. B. Antiemetika und Gastroprotektiva). Eine etwaige Hypoglykämie sollte durch intravenöse Gabe von Glukose (Dextroselösung) ausgeglichen werden, unter Überwachung der Blutzuckerwerte.

Prednisolon (oder Prednison) ist das Mittel der Wahl für die Substitution der endogenen Glukokortikoid-Defizienz 1,2,3. Schneller wirksame Glukokortikoide (z. B. Dexamethason, Hydrocortison) werden häufiger für die akute Glukokortikoid-Ersatztherapie bei Patienten mit Addison-Krise eingesetzt. Initial wird Prednison oder Prednisolon über einige Tage in niedriger antiinflammatorischer Dosierung (0,3-0,5 mg/kg PO alle 12-24 Std.) verabreicht 1,2. Nach dieser kurzen Einleitungsphase wird die Dosis graduell reduziert in Richtung der niedrigst-möglichen („physiologischen“) Dosis, die gerade noch in der Lage ist, den endogenen Glukokortikoidmangel auszugleichen, ohne offenkundige Nebenwirkungen hervorzurufen. Diese Dosis wird dann als Langzeittherapie im Sinne einer Erhaltungstherapie fortgeführt. Das Herausfinden der optimalen Dosierung beim individuellen Patienten erfordert etwas Zeit (und Geduld auf Seiten des Hundehalters), sie liegt in der Regel aber zwischen 0,05-0,2 mg/kg PO alle 24 Std., je nach Größe und Alter des Hundes (Box 7). Je nach Charakter und Temperament des Hundes kann bei zu erwartenden Stressperioden eine kurzzeitige Erhöhung der Erhaltungsdosis von Prednison bzw. Prednisolon in Erwägung gezogen werden 1,2.

Box 7. Empfehlungen zur Anpassung der Glukokortikoid-Dosierung auf Basis der klinischen Symptome und bei Verdacht auf Unterdosierung oder Übersubstitution.

Erkennbare Nebenwirkungen von Glukokortikoiden 
→ Reduktion der Dosis (um etwa 10-25 %)

Rezidiv klinischer Symptome (Lethargie, Anorexie, Diarrhoe) 
→ Erhöhung der Dosis (um etwa 50 %)

 

Zu erwartender signifikanter Stress (z. B. Agility, Feuerwerk, geplante Operation)
→ kurzzeitige Steigerung der Dosis in Erwägung ziehen (um etwa 100-200 %) 

Eine Mineralokortikoidsubstitution erfolgt im Falle eines typischen Hypoadrenokortizismus mit Elektrolytverschiebungen, die eine Mineralokortikoid-Defizienz widerspiegeln. Bei Hunden mit atypischem Hypoadrenokortizismus sollte eine Mineralokortikoidsubstitution aber sehr sorgfältig abgewogen und abhängig vom tatsächlichen endogenen Mineralokortikoid-Status entschieden werden. Bei niedrigen oder nicht messbaren Aldosteronkonzentrationen im Serum, sollten die Serumelektrolyte eng überwacht werden. Alternativ kann eine niedrig dosierte Mineralokortikoidsubstitution (Desoxycorticosteronpivalat, Initialdosis 1,5 mg/kg SC alle 25-28 Tage) in Erwägung gezogen werden 23. Während dies zumindest in der Theorie zu einer gewissen Entlastung der Mechanismen zur Kompensation einer (gemessenen) Mineralokortikoid-Defizienz führen kann, erfordert eine Langzeit-Mineralokortikoidsubstitution ein sorgfältiges Monitoring des Patienten (Serumelektrolyte, systemischer Blutdruck) und kann das Risiko potenzieller Nebenwirkungen bergen 24. Hunde mit atypischem Hypoadrenokortizismus und normalen Aldosteron-Basalkonzentrationen und/oder ACTH-stimulierten Aldosteronkonzentrationen benötigen ausschließlich eine Glukokortikoidsubstitution, die Serumelektrolyte sollten bei diesen Patienten aber regelmäßig kontrolliert werden. 

Überwachung der Behandlung

Die bekannten Nebenwirkungen von Glukokortikoiden (z. B. Polydipsie/Polyurie, Polyphagie, Gewichtszunahme, Verlust an fettfreier Körpermasse, Hecheln, Haut- und Fellveränderungen, Verhaltensänderungen) können auch bei sehr niedrigen Dosierungen von Prednison/Prednisolon auftreten und erfordern in diesen Fällen eine Dosisreduktion um 10-15 % (Box 7). Ob Hydrokortison eine gute Alternative für die Glukokortikoidsubstitution bei einigen Hunden ist, muss zunächst noch weiter untersucht werden. Symptome wie Lethargie, Schwäche, Hyporexie oder Anorexie, Erbrechen und Diarrhoe können bei Hunden mit Hypoadrenokortizismus Hinweise auf eine suboptimale Glukokortikoidsubstitution sein und erfordern eine Erhöhung der Dosierung um etwa 50 % 1,2,3.

Hunde mit atypischem Hypoadrenokortizismus, die eine Mineralokortikoidsubstitution erhalten, sollten anfangs alle zwei bis vier Wochen kontrolliert werden (in der Regel 10-14 Tage und dann erneut 25-28 Tage nach Beginn der Substitution mit Desoxycorticosteronpivalat 23. Wenn die Serumelektrolytkonzentrationen (Natrium und Kalium) innerhalb ihrer Zielbereiche liegen, der systemische Blutdruck normal ist und die Desoxycorticosterondosierung nicht erst vor kurzer Zeit angepasst wurden, sollte eine Überwachung der Behandlung weiterhin alle 1-3 Monate erfolgen (abhängig davon, ob der Besitzer in der Lage ist, die Mineralokortikoid-Injektionen zu Hause selbst zu verabreichen), und bei gut kontrollierten Hunden alle drei bis sechs Monate (es sei denn, monatliche Desoxycorticosteron-Injektionen in der Praxis sind erforderlich). Wird bei der Kontrolle Hypokaliämie, Hypernatriämie oder systemische Hypertonie (systolischer Blutdruck > 140 mmHg) festgestellt, erfordert dies eine Reduktion der Desoxycorticosteronpivalat-Dosis um etwa 10-20 % oder ein zumindest temporäres vollständiges Absetzen 23. Generell ist bei Hunden mit Hypoadrenokortizismus unter einer Behandlung eine sorgfältige Überwachung und Evaluierung jeglicher Nebenwirkungen zu empfehlen. Polyurie und Polydipsie werden typischerweise als Nebenwirkung einer (Über-) Substitution von Prednison/Prednisolon interpretiert, sie können aber auch eine Überdosierung von Mineralokortikoiden (d. h. Desoxycorticosteron) widerspiegeln 1,23.

Romy M. Heilmann

Hunde mit der Diagnose eines atypischen Hypoadrenokortizismus und normalen Aldosteron-Basalkonzentrationen und/oder ACTH-stimulierten Aldosteronkonzentrationen benötigen ausschließlich eine Glukokortikoidsubstitution, die Serumelektrolyte sollten bei diesen Patienten aber regelmäßig kontrolliert werden.

Romy M. Heilmann

Prognose bei Hypoadrenokortizismus

Unter einer adäquaten Glukokortikoidsubstitution und gegebenenfalls Mineralokortikoidsubstitution und bei sorgfältigem Follow-up des Patienten in regelmäßigen Abständen hat atypischer Hypoadrenokortizismus in der Regel eine sehr gute Langzeitprognose (Abbildung 5) 1,2,25. Die Überwachung auf das Fortschreiten der Erkrankung in Richtung eines typischen Hypoadrenokortizismus (d. h., die Entwicklung einer Hyperkaliämie und/oder Hyponatriämie) ist ein wichtiger Aspekt beim Langzeitmanagement von Hunden mit atypischem Hypoadrenokortizismus, die eine Glukokortikoid-Monotherapie erhalten 2,21. Die Autorin empfiehlt in diesen Fällen regelmäßige Kontrollen der Serumelektrolyte alle drei bis sechs Monate, gegenwärtig gibt es jedoch keine Richtlinien über die Häufigkeit einer Überwachung von Serumelektrolyten oder die Einleitung einer Mineralokortikoid-Substitution bei Hunden mit Aldosteronmangel ohne Elektrolytverschiebungen. 

Der Boxer mit atypischem Hypoadrenokortizismus

Abbildung 5. Der Boxer mit atypischem Hypoadrenokortizismus aus Abbildung 3 nach sechsmonatiger Glukokortikoid-Ersatztherapie. Die Serumelektrolytkonzentrationen blieben stabil, und der Hund hat sein normales Aktivitätslevel und eine normale Body Condition (BCS 5-6/9) wiedererlangt. Erbrechen und Hämatemesis hörten kurz nach Einleitung der Behandlung auf.
© Ms Wendler, Bischofswerda, SN, Germany

Schlussfolgerung

In vielen Fällen erkennen Besitzer erst im Nachhinein das langsame Einsetzen des Hypoadrenokortizismus und der damit zusammenhängenden subtilen klinischen Veränderungen, wenn ihr Tier als Reaktion auf die Behandlung eine schnelle Besserung entwickelt und eine bessere Lebensqualität zeigt. Die Erkrankung erfordert eine lebenslange Behandlung, die sich in vielen Fällen sogar stärkend auf die Tier-Mensch-Bindung auswirken kann. Einige Besitzer fürchten sich jedoch vor der Entwicklung einer Addison-Krise und weigern sich, den Hund ohne Aufsicht zu lassen. Den meisten Besitzern gelingt es jedoch sehr gut, einen Hund mit irgendeiner Form von spontanem Hypoadrenokortizismus zu Hause zu managen. Sie wissen oder lernen sehr schnell, welche Veränderungen der Lebensqualität ihrer Tiere eine zusätzliche oder erneute tierärztliche Versorgung erforderlich machen.

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Romy M. Heilmann

Romy M. Heilmann

Professor Heilmann ist Kleintierinternistin und Diplomate des ACVIM und des ECVIM mit besonderem Interesse für die Bereiche Gastroenterologie, Hepatologie, klinische Immunologie und interventionelle Radiologie und Endoskopie Mehr lesen

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