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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 1 Marketing und Verkauf

Die Bedeutung von Tierbesitzererfahrungen

veröffentlicht 05/05/2021

Geschrieben von Philippe Baralon , Antje Blättner , Pere Mercader und Susie Samuel

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español , English und ภาษาไทย

Praktische Tierärzte nehmen ihre Umwelt oft nicht bewusst wahr. Sie halten sich z.B. nie über längere Zeit im Wartezimmer ihrer Praxis auf und sie betreten die Praxis manchmal sogar durch einen anderen Eingang als ihre Kunden. Schlechte Erfahrungen von Tierbesitzern scheinen zwar nur ein kleines Detail im Gesamtbild einer Praxis, sie haben jedoch nachweislich erhebliche Auswirkungen auf die Effizienz des Unternehmens. Dieses Kapitel erläutert unter anderem das Konzept des Net Promoter Score, eines sehr hilfreichen Instruments zur Messung der Kundenzufriedenheit. Forschungsarbeiten auf Basis der Methodologie des Net Promoter Scores zeigen, wie positive Kundenerfahrungen zu höheren Umsätzen und verbesserter Profitabilität beitragen.

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Die Bedeutung von Tierbesitzererfahrungen

Kernaussagen

Jede Praxis verliert Kunden, aber die Menge dieses Verlustes macht den Unterschied zwischen profitablen und nicht profitablen Praxen.


Der NPS oder Net Promotion Score ist die beste Methode zur Messung der Kundenzufriedenheit. 


Negative oder positive Auswirkungen von Kundenfeedbacks und Internetbewertungen auf Ihre Mitarbeiter sollten nicht unterschätzt werden.


 

Selbsteinschätzung: Finden Sie die 15 Fehler 

Es folgt die Geschichte einer Kundin, die sich so oder so ähnlich auch in Ihrer Praxis zugetragen haben könnte. Bitte lesen Sie die Geschichte sorgfältig durch und finden Sie die von der Praxis gemachten „Fehler“. 

„Am Donnerstag kurz nach 19:30 Uhr im Auto auf dem Weg nach Hause hörte Marianne ihre Katze Vicky in ihrer Box leise miauen. 

Alles hatte am Dienstagabend begonnen. Marianne stellte überrascht fest, dass ihr junges Kätzchen nicht wie üblich versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und sich ihre gewohnten Streicheleinheiten abzuholen, als sie wie immer um etwa 19:00 Uhr nach Hause kam. Vicky blieb in ihrer Ecke. Mit anderen Dingen beschäftigt, war Marianne aber nicht unmittelbar besorgt, da Vicky relativ unabhängig sein konnte. Am Mittwochmorgen hatte Vicky ihre Trockenfutterkroketten kaum angerührt, und Marianne entschloss sich, ihren Tierarzt, Dr. Müller, anzurufen, um einen Untersuchungstermin zu vereinbaren. 

Nach sechs- oder siebenmaligem Klingeln nahm schließlich jemand am anderen Ende der Leitung das Gespräch entgegen (Abbildung 1). Marianne konnte nun erläutern, was mit ihrem Tier los war, und ihren Wunsch nach einem Termin am selben Abend, vorzugsweise nach 18:00 Uhr äußern. Sie würde ihre Arbeitsstelle früher verlassen, die Rush Hour vermeiden, in etwa 45 Minuten nach Hause kommen, Vicky einpacken und nach etwa 15 Minuten in der Praxis ankommen. Die erste Person, mit der Marianne sprach, erklärte, dass Dr. Müller am Mittwoch nicht in der Praxis sei und dass sämtliche Termine am späten Nachmittag bereits ausgebucht seien. Sie solle doch am nächsten Tag, also am Donnerstag, kommen, da wäre noch ein Termin um 17:00 Uhr frei (aber nicht bei Dr. Müller). Marianne bestand darauf, noch heute am Mittwoch einen Termin zu bekommen oder alternativ am Donnerstag später am Nachmittag. Da dies aber nicht möglich war, akzeptierte sie schließlich den angebotenen Termin am Donnerstag um 17:00 Uhr. Mittwochnacht hatte sich der Zustand von Vicky nicht wirklich verschlechtert, sie nahm aber nach wie vor kaum Nahrung auf und verharrte in ihrer Ecke. Schließlich gelang es Marianne, am Donnerstagnachmittag einen halben Tag freizunehmen, um mit ihrer Katze in die Tierarztpraxis zu fahren.

Abbildung 1. Nach 6- oder 7-maligem Klingeln nahm endlich jemand Mariannes Anruf entgegen.
Abbildung 1. Nach 6- oder 7-maligem Klingeln nahm endlich jemand Mariannes Anruf entgegen. © Shutterstock

Als Marianne am Donnerstag um 16.45 Uhr an der Praxis ankam, stellt Sie erstaunt fest, dass der Praxisparkplatz voll war, so dass Sie einen Parkplatz in einer benachbarten Straße suchen musste, was in dieser Gegend kein leichtes Unterfangen ist. Nach fünfminütiger erfolgloser Suche parkte sie schließlich in einem 700 Meter entfernten öffentlichen Parkhaus. Nachdem sie aus dem zweiten Untergeschoss der Tiefgarage emporgestiegen und schnellen Schrittes zur Praxis gelaufen war, kam sie dort um 17.10 Uhr an. Begrüßt von einer lächelnden und warmherzigen Person am Empfang der Praxis, wurde sie in den Wartebereich dirigiert, wo nur noch zwei Stühle frei waren. Marianne wählte den Platz, der am weitesten von dem großen Hund entfernt war, der sich etwas zu sehr für die Transportbox interessierte, in der sich die zusammengekauerte Vicky befand (Abbildung 2).

Abbildung 2. Das Wartezimmer war nahezu voll. Marianne wählte den am weitesten von dem großen Hund entfernten Platz. © Shutterstock
Abbildung 2. Das Wartezimmer war nahezu voll. Marianne wählte den am weitesten von dem großen Hund entfernten Platz. © Shutterstock

Um etwa 17.35 Uhr versuchte Marianne, die Aufmerksamkeit der Rezeptionistin zu gewinnen. Diese war zunächst am Telefon beschäftigt — offenbar wollte jemand ein sehr detailliertes Update über einen stationären Hund — und nahm dann einen neuen Kunden auf, bevor sie schließlich die Rechnung für einen weiteren Kunden erstellte, der inzwischen aus einem der Sprechzimmer gekommen war. Um etwa 17.45 erwiderte die Rezeptionistin Mariannes fragenden Blick und versuchte ihr mittels Handzeichen zu verdeutlichen, dass es nun nicht mehr lange dauern würde. Um 18:10 Uhr wurde

Marianne schließlich in Sprechzimmer 3 gebeten, wo sie von einer ihr unbekannten jungen Tierärztin kurz begrüßt wurde.

Nach kurzem Blick auf den Vorbericht begann die junge Tierärztin, Vicky zu untersuchen, während sie gleichzeitig einige Fragen stellte. Sie wies Marianne eindringlich darauf hin, „beim nächsten Mal“ nicht so lange zu warten mit dem Tierarztbesuch, „weil zwei verlorene Tage bis zur Einleitung der richtigen Behandlung einen großen Unterschied machen können.“ Marianne versuchte zu erläutern, wie schwierig es war, den Termin mit der Praxis zu vereinbaren und legte dar, was sie alles unternehmen musste, um an diesem Abend in die Praxis kommen zu können. Die Tierärztin hatte sich aber bereits wieder in die Untersuchung vertieft, und Marianne hatte das Gefühl, es sei wohl besser, sie jetzt nicht weiter zu stören. Die junge Tierärztin erklärte, dass sie eine Harnwegsinfektion vermutete und schlug vor, Vicky für einige Minuten in den Behandlungsraum mitzunehmen, um eine „Zystozentese“ für eine Harnanalyse sowie eine Blutentnahme für die Erstellung eines „biochemischen 6-fach-Profils“ durchzuführen. Marianne stimmte zu, obwohl ihr nicht klar war, was „Zystozentese“ und „biochemisches 6-fach-Profil“ bedeuteten.

Nach weiteren 15 Minuten im Wartezimmer, wurde Marianne erneut in das Sprechzimmer gerufen, wo sie ihre Katze Vicky vorfand. Die beschwingte junge Tierärztin erklärte, dass die Harnanalyse ihre Verdachtsdiagnose einer Harnwegsinfektion bestätigte und dass sie der Katze bereits unmittelbar ein Antibiotikum gespritzt habe. Sie fügte hinzu, dass „sich die Dinge innerhalb von zwei bis vier Tagen wieder normalisieren sollten“ und dass es in der Zwischenzeit „wichtig ist, dass Vicky viel trinkt“. Dann erläuterte sie, dass die Rezeptionistin die notwendigen Medikamente bereitstellen würde, und Marianne erkannte, dass es nun Zeit sei, zu gehen. Nachdem sie sich von der Tierärztin verabschiedet hatte, die bereits die nächste Kundin mit ihrem Deutschen Schäferhund begrüßte, war es 18.55 Uhr als Marianne wieder an der Rezeption stand. Nachdem die Rezeptionistin ihr Telefonat beendet hatte, erläuterte sie, immer noch sehr charmant, die weitere Behandlung von Vicky: eine Tablette morgens und eine Tablette abends über sieben Tage.

„Tabletten?“ antwortete Marianne, „ich habe doch so große Schwierigkeiten, Vicky dazu zu bringen, Tabletten zu schlucken. Das ist jedes Mal ein Kampf“. Die Rezeptionistin sagte, es sei schade, dass Marianne diesen Punkt nicht bereits der Tierärztin gegenüber erwähnt habe, die dann wohl eine alternative Behandlung mit einem langzeitwirksamen Injektionspräparat eingeleitet hätte, um Tabletten zu vermeiden. Sie führte weiter aus: „Wissen Sie, so schwer ist es doch gar nicht, einer Katze Tabletten zu geben, und mit etwas Geduld schafft man das immer“. Schließlich überreichte sie der Kundin ein Infoblatt mit verschiedenen Zeichnungen, die darstellten, wie man einem Tier (in diesem Fall einem Pudel) eine Tablette eingibt.

Dann verkündete sie den zu zahlenden Preis: 177 €. Sehr überrascht drückte Marianne ihr Entsetzen über die Diskrepanz zwischen dem Preis für die eigentliche Konsultation — 42 € — und der Gesamtsumme von 177 € aus (Abbildung 3). Ganz ruhig und weiterhin lächelnd erläuterte die Rezeptionistin die Verteilung der Kosten: „Die Konsultation 42 €, die Zystozentese 20 €, die Harnanalyse 23 €, die Blutentnahme 11 €, das biochemische 6-fach-Profil 38 €, eine antibiotische Injektion 13 € und 14 Tabletten 30 € — in der Summe ergibt das 177 €.“ Grundsätzlich stimmte die Rechnung also.

Abbildung  3. Marianne war erstaunt über den hohen Rechnungsbetrag.
Abbildung  3. Marianne war erstaunt über den hohen Rechnungsbetrag. © Shutterstock

Während Marianne ihre Kreditkarte hinüberreichte, fragte sie die Rezeptionistin nach dem biochemischen Blutprofil für 38 € (ohne die Blutentnahme): „Ich verstehe den Grund für die Harnanalyse, da diese ja letztlich die Diagnose bestätigte, aber warum der biochemische Test? Man hat mir nichts über irgendwelche Ergebnisse gesagt…“ Ohne ihr Lächeln zu verlieren, versicherte die Rezeptionistin: „Wenn die Tierärztin Ihnen die Ergebnisse nicht mitgeteilt hat, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass alle Werte normal sind oder dass die Werte auch für eine Harnwegsinfektion sprechen. Noch weitere Fragen?“ An dieser Stelle hatte Marianne das Gefühl, dass es wohl besser sei, keine weiteren Fragen zu stellen. Sie bezahlte ihre Rechnung, ergriff die Transportbox mit Vicky, packte die Tabletten ein und ging zum Parkhaus, um ihr Auto zu holen. Mittlerweile war es 19:25 Uhr.“

Was denken Sie über Mariannes Erfahrungen bei diesem Tierarztbesuch? Die Katze Vicky bekam zweifellos eine genaue und gut begründete Diagnose und erhielt danach eine passende und effektive Behandlung. Aus medizinischer Sicht verlief also alles gut, und darum geht es offensichtlich in erster Linie. Aber ist Marianne zufrieden? Wird sie die Praxis einem Freund oder einem Nachbarn empfehlen? Wahrscheinlich nicht, denn eine große Zahl an Fehlern und Versäumnissen verhinderte, dass diese Kundin eine optimale Erfahrung in der Praxis machte. Haben Sie alle Fehler erkannt? (Box 1). Hätte sich dieser Besuch so oder so ähnlich auch in Ihrer Praxis abspielen können?
 
Box 1
15 Fehler, die Mariannes Erfahrung beschädigten
1. Marianne muss 6 oder 7 Klingeltöne warten, bis jemand das Telefongespräch entgegennimmt.
2. Die Praxis zeigt sich als nicht besonders flexibel bei der Vergabe eines passenden Termins.
3. Der Parkplatz ist zu klein, oder vielleicht bereits von den Autos der Praxismitarbeiter belegt.
4. Es gibt keinen speziellen separaten Wartebereich für Katzenbesitzer.
5. Marianne muss 35 Minuten warten ohne jede Erklärung für den Grund dieser Verzögerung.
6. Marianne betritt das Sprechzimmer schließlich eine Stunde nach ihrer Ankunft in der Praxis, also genau zu dem Zeitpunkt, an dem sie ursprünglich den Termin haben wollte.
7. Die Tierärztin führt die Erhebung des Vorberichts und die klinische Untersuchung gleichzeitig durch, wahrscheinlich, um Zeit zu sparen. Dadurch konzentriert sie sich aber nicht richtig auf Mariannes Antworten.
8. Die Tierärztin erklärt Marianne, dass sie die Katze zu spät nach dem Einsetzen der Erkrankung zur Untersuchung bringt, obwohl es die Praxis war, die nicht in der Lage war, einen passenden Termin am Tag vorher anzubieten.
9. Die Tierärztin erklärt nicht, was eine „Zystozentese“ und ein „biochemisches 6-fach-Profil“ ist.
10. Die Konsultation endet abrupt. Die Tierärztin fragt Marianne nicht, ob sie noch Fragen hat, und die nächste Kundin und ihr Tier betreten bereits das Sprechzimmer.
11. Die Tierärztin versäumt es, mit Marianne das wichtige Thema der zweimal täglichen Verabreichung von Tabletten bei Vicky zu besprechen, obwohl sich diese Behandlung für Besitzer als sehr schwierig erweisen kann, insbesondere, wenn man bedenkt, dass es sich bei Vicky um eine Katze handelt.
12. Es ist zwar eine gute Idee, dem Tierbesitzer ein Infoblatt auszuhändigen, das zeigt, wie man einem Tier Tabletten verabreicht. Besser wäre in diesem Fall natürlich ein Infoblatt speziell für Katzen.
13. Die Rezeptionistin verkündet den Gesamtrechnungsbetrag ohne detaillierte Aufschlüsselung der einzelnen Positionen.
14. Als Marianne eine Erläuterung der Rechnung verlangt, liefert die Rezeptionistin umfassende Informationen, aber nur mündlich und ohne Aushändigung einer detaillierten gedruckten Rechnung.
15. Die Tierärztin gab Marianne weder schriftliche Ergebnisse noch mündliche Kommentare zur biochemischen Blutuntersuchung. Sie kennt also weder die Ergebnisse noch deren Beitrag zur Diagnose, als sie die 49 € für die Blutprobenentnahme und den Test bezahlen muss.

 
Ökonomische Auswirkungen

Studie zur Patientenabwanderung

Die Zahlen zu den Patientenabwanderungsraten in tierärztlichen Praxen sind verheerend. In einer Studie von VMS (Veterinary Management Studies) in Spanien wurden die Transaktionen von über 515.090 Patienten aus 485 tierärztlichen Praxen/Kliniken verschiedener Typen und geographischer Regionen über einen Zeitraum von fünf Jahren (2012 bis 2016) untersucht.

1. Methode

Für jeden dieser Patienten wurde einer von 5 verschiedenen „Status“ definiert, je nach ökonomischer Beziehung zur Praxis/Klinik in jedem Jahr:

  • Neuer aktiver Patient: Ein Patient, der eine ökonomische Transaktion in diesem Jahr zum ersten Mal generiert hat.
  • Wiederkehrender aktiver Patient: Ein Patient, der eine ökonomische Transaktion in diesem Jahr generiert hat, und im unmittelbar vorangegangenen Jahr bereits ökonomische Transaktionen generiert hat.
  • Wiedergewonnener aktiver Patient: Ein Patient, der eine ökonomische Transaktion in diesem Jahr generiert hat, im unmittelbar vorangegangenen Jahr jedoch keine ökonomische Transaktion generiert hat, aber in den davor gelegenen Jahren ökonomische Transaktionen generiert hat.
  • Verlorener Patient: Ein Patient, der in diesem Jahr keine ökonomische Transaktion generiert hat, der aber im vorangegangenen Jahr mindestens eine Transaktion generiert hat.
  • Verstorbener aktiver Patient: Patient, der entweder in diesem Jahr oder im vorangegangenen Jahr eine ökonomische Transaktion generiert hat, aber in diesem Jahr gestorben ist.

2. Ergebnis Nr.1: Praxen verlieren jedes Jahr 50 % ihrer Patienten.


Die überraschenden Ergebnisse der Analyse dieser großen Datensätze sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
 
Tabelle 1 Patientenflussanalyse.
   2013  2014  2015  2016
 Neue Patienten  50,5 %  47,2 %  47,7 %  45,1 %
 Wiedergewonnene Patienten  6,8 %  7,6 %  8,5 %  8,6 %
 Verlorene Patienten  50,0 %  49,9 %  49,4 %  50,5 %
 Gestorbene Patienten  7,6 %  7,3 %  6,8 %  6,4 %
 Nettofluss  -0,3 %  -2,5 %  0,0 %  -3,3 %

Zu bemerken ist, dass das, was wir als „verlorene Patienten“ definieren, nicht notwendigerweise eine „Abwanderung“ bedeutet. Die Erfahrung lehrt uns in der Tat, dass viele dieser Patienten nicht etwa zu anderen Tierarztpraxen gehen, sondern sich lediglich in einer Art von Latenzperiode befinden (John Sheridan, ein Experte und Berater in Sachen Praxismanagement, bezeichnet diese als „versäumte Patienten“): Diese Patienten leben friedvoll zu Hause, ohne dass ihre Besitzer die Notwendigkeit verspüren, ihren Tierarzt aufzusuchen bis etwas passiert, das einen Besuch in der Praxis ihrer Meinung nach rechtfertigt. Einige dieser Patienten kommen schließlich nach zwei oder drei Jahren wieder zurück in die Praxis, andere aber nicht…

Viele Praxisinhaber äußern ihren Unglauben oder sogar ihren Ärger, wenn sie diese Zahlen sehen. Die Erfahrung eines spezialisierten Beraters und einige schlüssige quantitative Analysen zu diesem Thema zeigen jedoch, dass jedes Jahr eine substanzielle Anzahl von Patienten nicht regelmäßig zur Praxis zurückkommt.

3. Ergebnis Nr. 2: Verlorene Patienten haben je nach Praxis einen Anteil von 35 bis 75 %.

In derselben VMS-Studie wurde die prozentuale Patientenabwanderung für die 485 analysierten tierärztlichen Praxen auf der Ebene der individuellen Praxis für das Jahr 2015 gemessen. Ziel war es, herauszufinden, ob sich das Problem der Abwanderung in allen Praxen gleich darstellt oder ob es diesbezüglich sehr deutliche Unterschiede gibt, die signifikante finanzielle Auswirkungen haben könnten. Tabelle 2 fasst die Ergebnisse zusammen:

  • Der Unterschied zwischen den Praxen, die ihre Patienten besser halten, und den Praxen, die dies nicht können (1. Viertel vs. 3. Viertel der Verteilung der Patientenabwanderungsdaten) lag bei 40 Prozentpunkten (35,5 vs. 75,5 % Patientenverlust).
  • Betrachten wir zum Beispiel eine Praxis mit 200 aktiven Patienten und einem Jahresumsatz von 500.000 € (250 € Umsatz pro Patient und Jahr), so übersetzt sich dieser Unterschied zwischen „es richtig machen“ (die besten 25 % der Praxen) und „es falsch machen“ (die schlechtesten 25 % der Praxen) in einen inkrementellen Verlust von 800 Patienten und somit einen negativen Einfluss auf den Jahresumsatz von 200.000 €
  • Für eine Praxis dieser Größenordnung kann eine derartige Auswirkung auf den Umsatz den Unterschied zwischen profitabel und nicht profitabel oder zwischen einer „prekären Profitabilität“ und einer „gesunden Profitabilität“ bedeuten.


Tabelle 2 Patientenabwanderungsanalyse.
 % verlorene Patienten pro Jahr  
 Beste 25 % Praxen  35,5 %
 Median  47,5 %
 Schlechteste 25 % Praxen  75,5 %
   
 Für eine Praxis mit 2000 Tieren  2.000
 Ausgaben pro Jahr  250
 Kosten niedriger Qualität
(in zusätzlich verlorenen Patienten)
 800
 Kosten in Euro pro Jahr  200.000

 

Net Promoter Score (NPS)

Empirische Evidenzen zeigen, dass Kundenzufriedenheit zu höheren Kundenbindungsraten und höheren Wachstumsraten führt. In den vergangenen 15 Jahren entwickelte sich der NPS (Net Promoter Score) für zahlreiche Unternehmen in unterschiedlichen Branchen zum Standardverfahren für die Messung der Kundenzufriedenheit. Diese von Professor Frederick F. Reichheld an der Harvard Business School entwickelte Methode basiert auf einer einzigen Frage an einen Kunden des Unternehmens: „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie unser Unternehmen (unsere Praxis/Klinik) einem Freund empfehlen?“.

Die Antworten werden dann nach folgendem Schema auf einer Skala von 0 (unwahrscheinlich) bis 10 (definitiv) eingeordnet:

  • Antworten mit Scores von 0 bis 6 werden als „Detraktoren“ des Unternehmens betrachtet.
  • Antworten mit Scores von 7-8 werden als „neutral“ betrachtet.
  • Antworten mit Scores von 9-10 werden als „Promotoren“ des Unternehmens betrachtet.
  • Der NPS umfasst die Berechnung des prozentualen Anteils der Promotoren subtrahiert vom Anteil der Detraktoren sowie das Monitoring über die Zeit.
     

Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern existieren können, die die Anwendbarkeit der 0-10-Skala beeinträchtigen.

In mehreren Studien zeigte Professor Reichheld, dass es eine positive Korrelation gibt zwischen Unternehmen, die bessere NPS-Werte erreichen und Unternehmen, die ein nachhaltigeres Umsatzwachstum erzielen. Unter anderem konnte diese Korrelation bei Fluggesellschaften, Internetprovidern und Autovermietungen demonstriert werden.

Entscheidend für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens Tierarztpraxis sind Investitionen in die Verbesserung der Gesamterfahrung von Kunden in der tierärztlichen Praxis, denn „gute Medizin“ allein ist nicht genug. Außer in Sonderfällen, wie zum Beispiel bei reinen Überweisungspraxen, basiert das Geschäftsmodell der meisten tierärztlichen Praxen in erster Linie auf der Schaffung einer Bindung zum Kunden, die zu regelmäßigen Besuchen der Praxis führt. Gute Medizin ist zweifellos notwendig, sie allein ist aber ein insuffizientes Maß für die Gesamtperformance der Praxis. Unsere Kunden wollen uns leicht finden, sicher parken, nicht lange warten, eine freundliche Umgebung vorfinden, uns einfach per Telefon kontaktieren können, wenn sie dies für notwendig erachten, sich ernst genommen fühlen und respektiert werden, wissen, wie viel sie bezahlen müssen und erkennen können, warum unsere Leistungen das kosten, was auf der Rechnung steht… kurz gesagt, sie möchten eine umfassende positive Erfahrung als Kunden machen, die ihnen bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war, unsere Praxis zu wählen. Bedauerlicherweise setzen viele Praxisinhaber aber andere Prioritäten, wenn es darum geht, die Standards der Praxis festzulegen. Sie konzentrieren sich vorwiegend auf die medizinischen Aspekte und betrachten die oben genannten Themen eher als „nicht-prioritär oder lediglich kommerzieller Natur“.

 
Philippe Baralon

Basiert das Geschäftsmodell der meisten tierärztlichen Praxen in erster Linie auf der Schaffung einer Bindung zum Kunden

Philippe Baralon

Emotionale Effekte

Internet-Bewertungen

Wir betrachten uns nun drei echte Kommentare aus Online-Bewertungsportalen von Kunden, die unzufrieden waren mit ihrer Tierarztpraxis (sämtliche Kommentare sind echt, lediglich die Namen der Tierbesitzer wurden geändert).

👎 Uwe Rappolder: Sehr schlecht. Geld ist offenbar das einzige, was hier zählt. Nie zweimal derselbe Tierarzt und keine Zeit für Informationen. Selbst Bitten um Rezepterneuerungen und Tipps zur Medikamentengabe werden nicht richtig gehandhabt. Ich habe kein Vertrauen mehr, dass sie sich dort die notwendige Zeit nehmen, mein Tier richtig zu behandeln.

👎 Michaela Fink: Absolut beschämendes Beispiel für „Kundenservice“ heute Morgen. Meine Katze muss über eine Stunde in ihrer Box sitzen, dann eine improvisierte kurze Aufnahme im Sprechzimmer, wo eindringlich darauf bestanden wurde, dass ich eine Lügnerin sei, und schließlich eine geheuchelte Entschuldigung hinterher. Und das alles nur als Reaktion auf meinen Kommentar, dass es doch zum guten Ton gehören würde, den Kunden eine Wartezeit von 40 Minuten anzukündigen und zu erklären, so dass man darauf vorbereitet ist und dies akzeptieren kann, anstatt immer wieder an den Kunden vorbeizulaufen und über Geburtstage von Praxismitarbeitern und Kaffepausen zu reden. Ach ja, und angeblich kam ich ja fünf Minuten zu spät in die Praxis, so dass ich es gar nicht verdient habe, berücksichtigt zu werden. Ganz schrecklich, fast schon surreal. Ich gebe einen Stern, aber nur, weil man nicht null Sterne vergeben kann!

👎 Rainer Hollich: Ich bin sehr enttäuscht über das vollständig fehlende Bemühen um mein Tier, ein vollständiger Mangel an Respekt für mein Tier und für mich.

Jetzt betrachten wir uns drei Beispiele für Online-Bewertungen von Kunden, die sehr zufrieden waren:

👍 Patrick Mayer: Ich habe in den vergangenen 18 Jahren immer tierärztliche Versorgung auf höchstem Niveau bekommen und stets eine aufrichtige, fürsorgliche Aufmerksamkeit erfahren. Die Mitarbeiter an der Rezeption, die Tierarzthelferinnen und die Tierärzte könnten nicht netter sein mir gegenüber und vor allem gegenüber meinen Katzen. Die getrennten Wartebereiche für Hunde und Katzen sind hervorragend und machen den Praxisbesuch insgesamt weniger stressig. Ich kann diese Praxis nur in den höchsten Tönen loben.

👍 Michaela Schulz: Dr. Waldhof kümmert sich jetzt schon seit mehr als 10 Jahren um unsere beiden Katzen. Seine Mitarbeiter sind immer freundlich und hilfsbereit. Man kommt immer nur entweder zu Dr. Waldhof oder zu Dr. Mannheimer — die Kontinuität der Versorgung unserer Tiere ist also stets gewährleistet. Wir waren mit beiden Katzen für die jährliche Impfung in der Praxis, und Dr. Waldhof untersuchte beide Katzen sehr gründlich. Bei Rosie stellte er einen Gewichtsverlust fest und entnahm eine Blutprobe. Dr. Waldhof diagnostizierte schließlich ein Schilddrüsenproblem. Dieses Problem wurde letztlich nur aufgrund seiner hohen Professionalität entdeckt. Ich würde nie in eine andere Praxis gehen.

👍 Benedikt Hebisch: Ich liebe diese Praxis für meine Katzen. Ich fühle mich dort immer sehr willkommen und spüre, dass die Katzen stets an erster Stelle stehen. Ich würde nie in eine andere Praxis gehen.

Die meisten Tierärzte sind sich des wachsenden Einflusses solcher Rezensionen in sozialen Netzwerken auf die Reputation ihrer Praxis durchaus bewusst. Zunehmend mehr Kunden suchen vor der Wahl eines Tierarztes zunächst im Internet und lesen die Kommentare und Bewertungen anderer Tierbesitzer.

Einfluss von Kundenerfahrungen auf das Praxisteam

Diese Kommentare und Bewertungen haben aber auch einen signifikanten — und meist weniger gut verstandenen — Einfluss auf einen anderen Kundentypus, den so genannten „internen Kunden“ — unser Praxisteam. Die große Mehrzahl unseres Teams (sowohl Tierärzte als auch andere Mitarbeiter) ist emotional stark eingebunden in ihre berufliche Tätigkeit (Abbildung 4). Diese Mitarbeiter möchten spüren und bestätigt bekommen, dass sie einen guten Job machen, dass sie ihren Patienten und Kunden einen Mehrwert verschaffen und dass sie in einer tierärztlichen Praxis arbeiten, die eine positive Anerkennung in der Gesellschaft genießt. Vor diesem Hintergrund wird leicht verständlich, dass unser Team keineswegs immun ist gegenüber der permanenten öffentlichen Beurteilung in sozialen Netzwerken und Online-Portalen, und von positiver wie negativer Kritik nicht unberührt bleibt.

Abbildung 4. Das Praxisteam ist oft emotional eingebunden in seine tägliche Arbeit. Öffentliche Beurteilungen in sozialen Netzwerken können Auswirkungen auf die Mitarbeiter haben. © Shutterstock
Abbildung 4. Das Praxisteam ist oft emotional eingebunden in seine tägliche Arbeit. Öffentliche Beurteilungen in sozialen Netzwerken können Auswirkungen auf die Mitarbeiter haben. © Shutterstock

 

Ein Tierarzt kann während seiner beruflichen Karriere mehr als 50.000 persönliche Interaktionen mit Kunden haben. Zahlreiche Studien belegen, dass Konflikte mit Kunden (aufgrund von finanziellen Angelegenheiten, Kommunikationsproblemen, unterschiedlichen Meinungen über Behandlungen etc.) bei Tierärzten zu den Hauptursachen von Stress und Unzufriedenheit im Job gehören.

Wenn wir uns die Beschwerden von Kunden am Anfang dieses Abschnittes etwas näher betrachten, können wir uns sicherlich darauf einigen, dass weder die Tierärzte noch die anderen Mitarbeiter in diesen Praxen die Absicht hatten, ihre Kunden oder Patienten respektlos zu behandeln oder zu enttäuschen. Aus irgendwelchen Gründen hatten aber die Kunden genau diese negative Wahrnehmung. In einem professionellen Dienstleistungssektor, wie zum Beispiel in der Veterinärmedizin (in hohem Maße basierend auf der persönlichen Interaktion zwischen Kunde und Berufsausübendem), ist es essenziell, Qualitätsstandards für verschiedene Prozesse zu definieren, um eine möglichst einheitliche und zufriedenstellende Kundenerfahrung zu erreichen.

Einigen Autoren 1 zufolge, besteht die beste Strategie für das Erreichen einer guten externen Kundenerfahrung zunächst darin, sicherzustellen, dass auch interne Kunden (unsere Mitarbeiter) in ihrer täglichen Arbeit gute Erfahrungen machen. Wichtige Faktoren hierbei sind gut organisierte Prozesse und Arbeitsabläufe, funktionelle, freundliche und richtig dimensionierte Einrichtungen, Technologien, die so designt sind, dass sie Geschäftsprozesse unterstützen (und nicht umgekehrt), eine kollaborative Umgebung, die zum Lernen anregt etc. Alle diese Faktoren tragen ohne Zweifel dazu bei, unsere Praxis zu einem guten Arbeitsplatz zu machen und helfen dadurch unseren Mitarbeitern dabei, diese „positiven Schwingungen“ auf unsere Kunden zu übertragen. Die Redensart „Wohltätigkeit beginnt zu Hause“ gilt also auch für den Kundenservice.

 

Schlussfolgerung

Wenn Tierbesitzer in Ihrer Praxis gute Erfahrungen machen, hat dies nur positive Auswirkungen. Sie generieren dadurch eine positive Mund-zu Mund-Propaganda für Ihre Praxis. Sie motivieren Ihr Team durch das positive Feedback der Kunden. Und schließlich sichern Sie die ökonomische Zukunft Ihrer Praxis.
 
 

Literatur

  1. McKinsey & Company, May 2017, When the customer experience starts at home by Sylvie Bardaune, Sébastien Lacroix, and Nicolas Maechler.
Philippe Baralon

Philippe Baralon

Dr. Baralon absolvierte 1984 die École Nationale Vétérinaire in Toulouse (Frankreich) und studierte anschließend Volkswirtschaftslehre (Master of Economics, Toulouse, 1985) und Betriebswirtschaftslehre (MBA, HEC-Paris 1990). Mehr lesen

Antje Blättner

Antje Blättner

Dr. Blaettner wuchs in Südafrika und Deutschland auf und graduierte 1988 nach dem Veterinärmedizinstudium in Berlin und München. Mehr lesen

Pere Mercader

Pere Mercader

Dr. Mercader etablierte sich 2001 als Praxismanagement-Berater für Tierkliniken und hat seitdem diesen Beruf in Spanien, Portugal und einigen lateinamerikanischen Ländern entwickelt. Mehr lesen

Susie Samuel

Susie Samuel

Dr. Samuel schloss ihr Tiermedizinstudium 2001 an der Cambridge University ab und arbeitete anschließend über 10 Jahre in Gemischt- und Kleintierpraxen. Mehr lesen

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