Praxisketten - Korporatisierung in der Tiermedizin
Die explosionsartige Steigerung der Korporatisierung im Bereich tierärztlicher Praxen über die vergangenen 20 Jahre kann man nur als phänomenal bezeichnen...
Ausgabe nummer 30.3 Sonstiges Wissenschaft
veröffentlicht 26/11/2020
Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English
Unser Verständnis des Alterns bei Hunden macht derzeit große Fortschritte. In diesem Artikel diskutieren die Autoren, wie wir beurteilen können, ob ein Hund in die Kategorie „gebrechlich” einzuordnen ist und was Tierärzte tun können, um in dieser Situation zu helfen.
Das „Frailty-Syndrom“ ist ein Übergang zwischen normalem und pathologischem Altern, die so früh wie möglich erkannt werden muss.
Zwei einfache Methoden zur Beurteilung von Frailty beim Hund wurden kürzlich für die Anwendung in der klinischen Praxis entwickelt.
Die Haustierpopulation wird immer älter, und die veterinärmedizinische Geriatrie gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Das Management von Frailty umfasst regelmäßige tierärztliche Kontrollen, eine Beurteilung des Ernährungszustandes zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Ernährung und zielgerichtete Anpassungen der Umwelt.
Das Altern ist gegenwärtig ein sehr populäres Thema unter Wissenschaftlern und in den Medien, und zwar sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin. Die große Bedeutung von Haustieren in unserer Gesellschaft hat eine stetige Zunahme der Haustierpopulation zur Folge und damit auch eine Zunahme der Anzahl geriatrischer Tiere. So zeigt zum Beispiel eine Untersuchung aus Frankreich, dass der prozentuale Anteil der Hunde im Alter von 12 Jahren und darüber an der gesamten Hundepopulation in Frankreich innerhalb von nur zwei Jahren um mehr als ein Prozent zugenommen hat von 14,5 % im Jahr 2012 auf 15,8 % im Jahr 2014 1. Ohne Zweifel muss sich die Veterinärmedizin auf diese geriatrische Haustierpopulation einstellen und dezidierte, speziesspezifische Methoden für die klinische Beurteilung solcher Patienten entwickeln. Da der Hund zunehmend auch als ein Modell für das Altern des Menschen eingesetzt wird, verfügen wir heute über entsprechende Methoden, die an die veterinärmedizinische Geriatrie angepasst werden können.
1 https://www.facco.fr
Altern ist ein normaler, multifaktorieller physiologischer Prozess, der unter anderem definiert wird als: „eine Abnahme und Verschlechterung funktioneller Eigenschaften auf der Ebene der Zellen, der Gewebe und der Organe. Dieser Verlust funktioneller Eigenschaften führt zu einem Verlust der Homöostase und einer verringerten Anpassungsfähigkeit an interne und externe Stressoren, die wiederum eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber Erkrankungen und Mortalität zur Folge haben“ 1. Es gibt jedoch entscheidende Unterschiede zwischen dem biologischen Altern und dem chronologischen Altern. Das biologische Altern wird auch als Seneszenz bezeichnet und ist ein Prozess, der sämtliche Individuen einer gegebenen Spezies betrifft, aber nicht bei allen Individuen in derselben Geschwindigkeit voranschreitet 2. „Chronologisches Altern“ beschreibt dagegen lediglich das Vergehen der Zeit, unabhängig vom Zustand und der Leistungsfähigkeit des Individuums 3. Wenn wir allgemein über das „Alter eines Hundes“ sprechen beziehen wir uns in der Regel auf das chronologische Alter. Dieser Artikel fokussiert sich auf das Altern bei Hunden aus biologischer Sicht.
Ebenso wie in der Humanmedizin kann es auch in der Tiermedizin sehr schwierig sein, einen einheitlichen Konsens über die Definition des geriatrischen Stadiums zu finden. Verschiedene Faktoren spielen hierbei eine Rolle (z. B. die Rasse, die adulte Köpergröße etc.), generell können wir aber zwei unterschiedliche Stadien des Alters definieren: das „prä-geriatrische“ Stadium und das „geriatrische“ Stadium (oder „Senior“-Stadium in den AAHA-Guidelines) 4. Das prä-geriatrische Stadium ist insgesamt weniger gut und präzise definiert als das geriatrische Stadium („Senior“-Stadium). Entscheidend ist jedoch, dass geeignete präventive Maßnahmen bereits in diesem ersten Stadium des Alterns eingeleitet werden. Eine Übersichtsarbeit definiert das prä-geriatrische Stadium auf der Basis des adulten Körpergewichts einer Hunderasse. Wenn die Rasse ein durchschnittliches adultes Körpergewicht über 22,7 kg hat, gilt ein Hund im Alter zwischen 6 und 8 Jahren als prä-geriatrisch, während dieses Stadium bei Hunden mit einem adulten Körpergewicht unterhalb der Marke von 22,7 kg im Alter zwischen 7 und 10 Jahren beginnt 5. Das geriatrische Alter wird definiert als die letzten 25 % der zu erwartenden Lebensspanne einer gegebenen Rasse 4. Wenn wir diese theoretischen Kennzahlen in der Praxis anwenden, tritt beispielsweise ein Labrador im Alter von 9 Jahren in das geriatrische Stadium ein, sein prä-geriatrisches Stadium beginnt aber bereits mit 6 Jahren.
Diese Definitionen basieren vollständig auf dem chronologischen Alter. Unterschiedliche Hunde unterliegen aber verschiedensten Veränderungen, die ihre Seneszenz beeinflussen können. So haben ältere Tiere beispielsweise ein höheres Risiko für chronische Erkrankungen wie Herzkrankheiten, Nierenerkrankungen, hormonelle Störungen und Tumore 6. Über die spezifischen Mortalitätsrisikofaktoren bei prä-geriatrischen und geriatrischen Hunden gibt es bislang nur wenige Daten, eine retrospektive Studie über Diensthunde in diesen Alterskategorien liefert hierzu jedoch einige Hinweise: die Rassezugehörigkeit, eine erhöhte Alanin-Aminotransferase-Konzentrationen (> 102 UI/l) und das Vorhandensein von Hautknoten waren mit der verbleibenden Lebenszeit assoziiert 7.
Das Gebiet der veterinärmedizinischen Geriatrie ist nach wie vor relativ neu, es gibt inzwischen aber einige maßgebliche Konzepte, wie zum Beispiel die Definition des gesunden Alterns gegenüber dem pathologischen Altern. Gesundes Altern bei Hunden wird definiert als „die Abwesenheit klinisch apparenter Erkrankungen“ und „altersbedingte Veränderungen ohne negativen Einfluss auf die Lebensqualität“ 4. Einige altersbedingte Veränderungen können also als „gesund“ betrachtet werden, wie zum Beispiel das Ergrauen des Bereiches um Nase und Fang, ein geringgradig dünneres Haarkleid (Abbildung 1), eine moderate nukleare Sklerose und auch eine geringgradige Abnahme des Aktivitätslevels (Tabelle 1) 4 8.
Ein häufiges Symptom des „ungesunden“ Alterns ist die canine Demenz, richtiger bezeichnet als kognitive Dysfunktion oder Canine Cognitive Dysfunction (CCD). Dieses neurobehaviorale Syndrom ist ein eindeutiges Beispiel für Veränderungen, die die Lebensqualität des Hundes beeinträchtigen. Diese können unter dem Akronym DISH zusammengefasst werden (Desorientierung, Dysfunktion bei Interaktionen, Schlaf und Haustraining). Betroffene Tiere können Veränderungen ihrer Aktivitätsmuster, Beeinträchtigungen des Lernens und Veränderungen sozialer Interaktionen oder ihrer Schlafmuster zeigen (Tabelle 2). Trotz der in jüngster Zeit zunehmenden Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet, ist diese Erkrankung in der Praxis immer noch unterdiagnostiziert 4. Das Interesse für prä-geriatrische und geriatrische Tiere hat über die vergangenen Jahrzehnte jedoch durchaus zugenommen, und neue klinische Beurteilungsmethoden aus der Humanmedizin wurden erst in jüngster Zeit für Hunde angepasst und in der Tiermedizin eingeführt. Ein Beispiel hierfür ist der relativ neue Begriff „Frailty“, der „Altersschwäche“ oder „Gebrechlichkeit“ bezeichnet.
Desorientierung: Bleibt vor einer Wand stehen, hat Schwierigkeiten, sein Futter zu finden. Findet auf seiner gewohnten Spazierstrecke nicht den Weg nach Hause |
Veränderungen bei Interaktionen: meidet Kontakt mit Besitzer, anderen Haustieren und der Umwelt, ausbleibendes Begrüßungsverhalten, Veränderungen der Interaktion mit anderen Menschen |
Störungen des Schlaf-Wach-Zyklus: ist nachts wach, schläft tagsüber |
Unsauberkeitsprobleme: Kot-/Harnabsatz im Schlafbereich in der Wohnung, macht sich nicht bemerkbar, wenn er nach draußen muss. |
Veränderungen der Aktivität: z. B. repetitive lokomotorische Aktivität, Verlust des Interesses an Leckerchen, Snacks oder Spielen |
Gesteigerte lokomotorische Aktivität: z. B. zielloses Umherlaufen während der Nacht |
Neue Ängste (im Vergleich zur Zeit vor 1 bis 2 Jahren): z. B. Phobien vor gewohnten Orten im Haus, Angst vor anderen Hunden |
Gedächtnisdefizite: z. B. Verlust des Erinnerungsvermögens, nicht mehr in der Lage, erlernte Aufgaben zu erfüllen, nicht in der Lage, neue Aufgaben zu erlernen |
Veränderungen der Persönlichkeit: z. B. Entwicklung von Neurosen oder Anzeichen für Aggression |
Dieses Konzept wurde in der humanmedizinischen Geriatrie entwickelt 9. „Frailty" – zu Deutsch Gebrechlichkeit – bezeichnet bei alten Menschen ein biologisches Syndrom mit verminderter Reservekapazität und verminderter Resistenz gegenüber Stress und körperlichen Störungen. Die Ursache ist die Abnahme der Leistungsfähigkeit in multiplen Organsystemen, die eine vermehrte Vulnerabilität bedingt. Diese Definition besagt also, dass der alte Organismus zunehmend seine Leistungs- bzw. Kompensationsfähigkeit verliert und anfälliger wird für Erkrankungen. Mit der Einführung des Begriffes „Frailty" wurden objektivierbare Diagnosekriterien formuliert. Die Definition von „Frailty“ hat sich insbesondere im Laufe des vergangenen Jahrzehnts weiterentwickelt, und heute wird „Frailty“ allgemein als ein Syndrom erhöhter Vulnerabilität gegenüber Stressoren betrachtet 10. Dieser klinische Zustand gilt als Folge einer kumulativen Leistungsminderung verschiedener Organsysteme und geht mit einer beschleunigten und fortschreitenden Abnahme physiologischer Reservekapazitäten einher 11. Frailty unterscheidet sich damit deutlich vom „normalen“ Altern und kann definiert werden als 12:
Aus praktischer Sicht geht Frailty mit Mortalität oder Komorbidität (d. h., Vorhandensein von zwei oder mehr Erkrankungen) einher 13, und zwar unabhängig vom chronologischen Altern 14. Frailty ist aber auch reversibel, da es sich um einen Übergangszustand zwischen normalem Altern und der Entwicklung von Gebrechen und altersbedingter Einschränkungen handelt 10. Frailty kann aber auch in einem Teufelskreis münden, ausgelöst durch multiple Faktoren wie eine geringe körperliche Aktivität, eine unausgewogene und nicht bedarfsgerechte Ernährung, Komorbiditäten oder Umweltfaktoren. Aus klinischer Sicht können bei den betroffenen Patienten Sarkopenie, Schwäche oder Erschöpfung zu beobachten sein, die wiederum zu weiterer Vermeidung körperlicher Aktivitäten führen und schließlich in einer Abwärtsspirale münden können, ausgelöst durch andere Erkrankungen wie chronische Entzündungen und hormonelle Dysfunktionen. Das Frailty-Syndrom wird zudem in Verbindung gebracht mit Stoffwechselstörungen, erhöhten inflammatorischen Zytokinen (z. B. IL-6; CRP, TNF-Alpha) 14 15 oder hormonellen Dysregulationen (z. B. Vitamin D, DHEA 2). Es herrscht zwar nach wie vor ein Mangel an Wissen über die pathophysiologischen Pathways, die zur Entstehung von Frailty führen, dennoch ist der Begriff „Frailty-Syndrom“ heute weit verbreitet, um gealterte Individuen zu beschreiben, die ein erhöhtes Risiko für ein ungünstige Altersprognose haben.
2 Dehydroepiandrosteron (DHEA) gehört zur Gruppe der männlichen Sexualhormone, wird allerdings von beiden Geschlechtern gebildet
In der humanmedizinischen Geriatrie gibt es zwei Herangehensweisen für die Beurteilung von Frailty, und beide Methoden sind geeignete Prädiktoren für Mortalität bei älteren Patienten 16. Das erste ist ein Phänotyp-Modell, das für die klinische Anwendung entwickelt wurde und fünf grundlegende Komponenten identifiziert 13:
Mit Hilfe dieser Methode kann ein Patient klassifiziert werden als „Non-Frail“ (keine der fünf Komponenten ist abnorm), „Pre-Frail“ (1 oder 2 Komponenten sind abnorm) oder „Frail“ (3 oder mehr Komponenten sind abnorm). Nicht berücksichtigt werden in diesem Modell jedoch Faktoren wie Kognition, Stimmung oder „soziale Frailty“ 17. Diesen Aspekten wird in einer zweiten, weit verbreiteten Methode Rechnung getragen, die Frailty als eine Akkumulation von Defiziten einschließlich kognitiver Störungen, depressivem Syndrom, multipler Erkrankungen und Fehlernährung betrachtet. Mit Hilfe eines Scoring-Systems wird ein „Frailty-Index“ erstellt, der eine multidimensionale Betrachtung der individuellen Frailty ermöglicht, wobei eine klare Unterscheidung zwischen Frailty und Komorbidität nicht getroffen wird 18.
Beide Methoden wurden kürzlich für die tiermedizinische Anwendung bei Hunden angepasst und dienen in erster Linie der Identifizierung von Frailty als einen Risikofaktor für den Tod bei älteren Hunden, unabhängig von ihrem chronologischen Alter.
Diese Methode wurde kürzlich im Rahmen einer Studie über Diensthunde (meist Retriever) mit Hilfe eines einfachen geriatrischen Scoring-Formulars evaluiert (Tabelle 3) 19. Jedes Tier, das zwei oder mehr der fünf Beurteilungskriterien erfüllte, wurde als „Frail“ klassifiziert. Die Studie stellt fest, dass betroffene Hunde mit höherer Wahrscheinlichkeit sterben, selbst wenn das chronologische Alter in die Betrachtung mit einbezogen wurde. Bislang wurde diese Methode aber lediglich in einer einzigen Untergruppe einer Hundepopulation untersucht, und (im Unterschied zur humanen Frailty-Phänotyp-Methode) umfasst die Methode beim Hund gegenwärtig keine richtige körperliche Beurteilung. Ein Protokoll für eine Frailty-Phänotyp-Beurteilung wird gegenwärtig an der Tierärztlichen Hochschule Maison-Alfort in Frankreich evaluiert.
Kriterium
Beurteilung
Schwäche
Beurteilung der Muskelmasse (normal oder abnorm)
Erschöpfung
Beurteilung der Leistungs(in)toleranz (Ermattung oder Atemnot)
geringe körperliche Aktivität
Beurteilung des wahrgenommenen Aktivitätslevels (wie vom Besitzer beschrieben)
Chronische Unterernährung
Beurteilung über eine Kombination von Body Condition Score, Appetit und Fellqualität. Gilt als bestätigt, wenn eines dieser Kriterien suboptimal ist
Schlechte Mobilität
Abnormes Gangbild und Gelenkschmerzen. Gilt als bestätigt, wenn eines dieser Kriterien erfüllt ist.
Sara Hoummady
1. Hilfe beim Aufstehen
2. Verminderter Appetit
3. Hilfe bei der Nahrungsaufnahme
4. Inkontinenz
5. Hilfe beim Treppensteigen
6. Abnehmende Aktivität über das vergangene Jahr
7. Verringerte kognitive Fähigkeiten
8. Abnehmende Vitalität über das vergangene Jahr
9. Schwäche bei körperlicher Bewegung
10. Kongenitale Defekte
11. Gewichtsverlust (nicht aufgrund von Ernährung oder Bewegung)
12. Dünnes Haarkleid
13. Chronische Therapien
14. Epilepsie
15. Episoden der Desorientierung
16. Chronische Infektionskrankheit
17. Endokrine Erkrankung
18. Chronische Entzündung
19. Akute Gefäßprobleme
20. Tumorerkrankung
21. Diabetes
22. Osteoarthrose
23. Eingeschränktes Hörvermögen
24. Kardiomyopathie
25. Chronische Atemwegserkrankung
26. Hepatopathie
27. Neurologische Defizite
28. Erkrankung der Maulhöhle
29. Eingeschränktes Sehvermögen
30. Chronische Verdauungsstörungen
31. Erkrankung des hämatopoetischen Systems
32. Hauterkrankung
33. Chronische Nierenerkrankung
Die Punkte 1-21 werden gewertet als NEIN (Score 0) oder JA (Score 1); die Punkte 22-33 werden bewertet als NEIN (Score 0), GERINGGRADIG (Score 0,5) oder HOCHGRADIG (Score 1). Der Frailty- Index entspricht der Summe der Scores geteilt durch 33. Ein Score von 0,25 gilt als Schwellenwert für den Übertritt in den Frailty-Status.
Diese Methode wurde kürzlich für die Anwendung bei Hunden angepasst und bei zwei größeren Hundegruppen getestet (Alter über 2 Jahre, verschiedene Rassen) 20. Beurteilt werden 33 potenzielle Gesundheitsdefizite (Tabelle 4), wobei jedem Faktor ein Score zugeteilt wird. Der Gesamtscore (Spanne von 0 bis 1) gibt schließlich den Status des Hundes an, wobei ein Score von 0,25 die Schwelle zum Frailty-Status darstellt. Die Studie kommt unter anderem zu der Schlussfolgerung, dass bei Hunden mit einem Score oberhalb dieser Grenze häufigere tierärztliche Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden sollten.
Solche Beurteilungsmethoden sind kostengünstig und können standardisierte Follow-up-Untersuchungen von Risiko- oder Frail-Patienten erleichtern. Die kognitiven Aspekte des Alterns werden durch diese Methoden jedoch nicht richtig erfasst. Wenn also mit Hilfe einer der beschriebenen Methoden die Frailty bei einem Hund evaluiert wird, sollte bei jeder routinemäßigen geriatrischen Konsultation zusätzlich auch eine Einschätzung der kognitiven Fähigkeiten des Patienten stattfinden.
Die Diagnose kognitive Dysfunktion beim Hund (Canine Cognitive Dysfunction oder CCD) erfolgt nach Ausschluss anderer potenzieller medizinischer Ursachen (z. B. Epilepsie, Hypothyreose, Gelenkschmerzen), da diese Erkrankungen ähnliche klinische Symptome hervorrufen können. Um die Diagnose in der Praxis zu stellen können verschiedene standardisierte Fragebögen eingesetzt werden. Einer der am häufigsten verwendeten Fragebögen ist die CCDR-Skala (Canine Cognitive Dysfunction Rating- Skala) (Tabelle 5) 21. Diese Methode beurteilt 13 Faktoren im Zusammenhang mit Verhaltensänderungen, wobei jeder Faktor in Abhängigkeit von der Häufigkeit des Auftretens eines jeden Verhaltens beurteilt wird. Der maximale Score beträgt 80, und bei jedem Hund mit einem Score über 50 liegt wahrscheinlich eine kognitive Dysfunktion vor.
1. Wie oft geht Ihr Hund auf und ab, läuft im Kreis und/oder läuft ziellos umher? |
2. Wie oft starrt Ihr Hund ausdruckslos auf die Wand oder den Boden? |
3. Wie oft bleibt Ihr Hund vor einem Gegenstand stehen und ist nicht in der Lage, darum herum zu gehen? |
4. Wie oft gelingt es Ihrem Hund nicht, bekannte Menschen oder Tiere zu erkennen? |
5. Wie oft läuft Ihr Hund gegen Wände oder Türen? |
6. Wie oft läuft Ihr Hund weg, während er gestreichelt wird oder um das Streicheln zu vermeiden? |
7. Wie oft hat Ihr Hund Schwierigkeiten, auf den Boden gefallenes Futter zu finden? |
8. Im Vergleich zu der Zeit vor sechs Monaten, läuft Ihr Hund jetzt auf und ab und/oder im Kreis und/oder wandert er ziellos umher? |
9. Im Vergleich zu der Zeit vor sechs Monaten, starrt Ihr Hund jetzt ausdruckslos Wände und Boden an? |
10. Im Vergleich zu der Zeit vor sechs Monaten, setzt Ihr Hund jetzt Harn- und/oder Kot in Bereichen ab, in denen er dies zuvor nicht tat? (wenn Ihr Hund nie Unsauberkeitsprobleme gezeigt hat, markieren Sie „unverändert“) |
11. Im Vergleich zu der Zeit vor sechs Monaten, hat ihr Hund jetzt Schwierigkeiten, auf den Boden gefallenes Futter zu finden? |
12. Im Vergleich zu der Zeit vor sechs Monaten, gelingt es Ihrem Hund jetzt nicht, bekannte Menschen oder Tiere zu erkennen? |
13. Im Vergleich zu der Zeit vor sechs Monaten, wie aktiv ist Ihr Hund jetzt? |
Die Antworten auf die Fragen 1 bis 6 sind „Nie“ (1 Punkt), „einmal pro Monat“ (2 Punkte), „einmal pro Woche” (3 Punkte), „Einmal pro Tag” (4 Punkte), „Mehrmals pro Tag“ (5 Punkte).
Antworten auf Frage 7 sind „Nie“ (1 Punkt), „1-30% der Zeit” (2 Punkte), „31-60% der Zeit” (3 Punkte), „61-99% der Zeit” (4 Punkte), „Immer” (5 Punkte).
Die Antworten auf die Fragen 8 bis 12 sind „viel weniger” (1 Punkt), „etwas weniger“ (2 Punkte), „unverändert“ (3 Punkte), „etwas mehr“ (4 Punkte), „viel mehr“ (5 Punkte). Der Score für Frage 11 muss mit 2 multipliziert werden, der Score für Frage 12 muss mit 3 multipliziert werden.
Die Antworten auf Frage 13 sind „viel mehr” (1 Punkt), „etwas mehr“ (2 Punkte), „unverändert“ (3 Punkte), „etwas weniger“ (4 Punkte), „viel weniger“ (5 Punkte).
|
Die Summe der Scores ergibt das Rating des Hundes; Der maximale Score beträgt 80, aber jeder Score über 50 weist auf eine kognitive Dysfunktion hin. |
Ebenfalls empfohlen wird während dieser Konsultationen eine Beurteilung der Schmerzen im Zusammenhang mit Osteoarthrose. In der klinischen Praxis sind solche Schmerzevaluierungen einfach durchführbar mit Hilfe eines validierten Fragebogens, wie zum Beispiel dem Canine Brief Pain Inventory 3.
3 www.vet.upenn.edu/docs/default-source/VCIC/canine-bpi-user%27s-guide-2017-07
Beurteilungskriterium
|
Vorgeschlagenes Tool | Menschen |
---|---|---|
Frailty |
Frailty-Phänotyp 19
5 min.
Frailty-Index 20
10 min.
|
Veterinär
Veterinär
|
Kognitive Beurteilung |
CCDR Fragebogen
5 min.
(im Wartezimmer)
|
TFA |
Muscle condition score |
WSAVA Muscle condition score
2 min.
|
Veterinär |
Body condition score |
WSAVA score
2 min.
|
Veterinär |
Beurteilung der Umwelt |
10 min.
(im Wartezimmer)
|
TFA |
Allgemeine klinische Beurteilung | 10 min. | Veterinär |
Beurteilung der Ernährung |
Futterrationsrechner
10 min.
|
Veterinär
und TFA
|
Bluttests |
Praxisinternes Labor
30 min.
|
Veterinär |
Harnanalyse |
Praxisinternes Labor
15 min.
|
Veterinär |
Beurteilung der Schmerzen im Zusammenhang mit Osteoarthritis |
Canine Brief Pain Inventory 4, Helsinki Chronic Pain Index 5
5 min.
(im Wartezimmer)
|
TFA |
Lebensqualität |
HHHHHMM Scale/Grey Muzzle App
5 min.
(im Wartezimmer)
|
TFA |
4 http://www.vet.upenn.edu/docs/default-source/VCIC/canine-bpi-user%27s-guide-2017-07
5 https://www.fourleg.com/media/Helsinki%20Chronic%20Pain%20Index.pdf
Franck Péron
Die sensorische Stimulation und die kognitive Motivation des Hundes können durch Exposition gegenüber vielfältigen Gerüchen oder taktilen Reizen und durch aktivitätsfördernde futterspendende Spielzeuge gefördert werden (z. B. Puzzle-Feeders – (Abbildung 3)). Positive Interaktionen (wie z. B. Spielstunden mit dem Besitzer oder Interaktionen mit anderen Hunden), kombiniert mit fortgesetztem Lernen können ebenfalls sinnvoll sein. Hilfreich ist auch das Ausführen des Hundes an unbekannten Orten, die neu erkundet werden müssen. Zu empfehlen ist darüber hinaus das Anbieten mehrerer Schlafplätze. Zu vermeiden ist allerdings eine häufige Verlegung von Schlaf- und Fütterungsstellen, denn ebenso wichtig wie Abwechslung ist die Schaffung einer für den Hund vorhersehbaren und sicheren Umwelt. Erreicht werden kann dies zum Beispiel durch regelmäßige eingehaltene Fütterungs- und Ausführzeiten und die Vermeidung von Stress auslösendem Lärm 26. Die Lebensqualität des Hundes muss regelmäßig zusammen mit dem Besitzer diskutiert werden. Verschiedene Tools wie die HHHHHMM-Skala (Sie können das PDF unten herunterladen) oder IT-Lösungen wie der VetMetrica-Fragebogen oder die Grey Muzzle-App können helfen, zu beurteilen, auf welche Weise und in welchem Maße ein Hund durch sein Alter und seinen Zustand beeinträchtigt wird. Darüber hinaus können solche Instrumente auch bei Überlegungen hinsichtlich des Lebensendes eines Hundes hilfreich sein.
Die Autoren danken Dr. Delphine Moniot, Dr. Charlotte Devaux und Prof. Loïc Desquilbet für ihre wertvollen Kommentare.
Die HHHHHMM-Skala
Das Interesse an der caninen geriatrischen Medizin nimmt heute stetig zu, und insbesondere das Frailty-Syndrom – sowie einfache Methoden zur Beurteilung dieses Problems – bieten praktischen Tierärzten die Möglichkeit, sich dem Thema des biologischen Alterns bei Hunden zu nähern und damit über das rein chronologische Altern hinauszuschauen. Wenn wir in der Lage sind, die medizinische Versorgung und die Medikation alternder Hunde mit Hilfe spezifischer geriatrischer Konsultationen schnell anzupassen, sollte dies zum einen die Compliance der Besitzer fördern und zum anderen das gesündere Altern unserer caninen Patienten unterstützen. Nach wie vor sind aber noch viele Punkte offen, wie zum Beispiel die Frage des Einflusses des Mikrobioms auf das canine Frailty-Syndrom. Zukünftige Langzeitstudien werden uns aber sicherlich interessante neue Antworten geben und dafür sorgen, dass unsere Hunde noch gesünder altern können.
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Frank Peron
Dr. Péron schloss sein Studium an der Tierärztlichen Hochschule Alfort ab und beschäftigte sich im Anschluss daran mit dem Thema Kognition bei Tieren, bevor er sich auf das Gebiet der Neurowissenschaften spezialisierte und an der Universität Paris Ouest promovierte (PhD). Im Jahr 2016 erhielt er die Board Certification für Animal Welfare. Mehr lesen
Sara Hoummady
Dr. Hoummady schloss ihr Studium an der Tierärztlichen Hochschule Alfort in der Region Paris ab und beschäftigte sich im Anschluss daran mit der Ethologie der Hunde und dem Verhalten von Arbeitshunden. Sie spezialisierte sich auf kanine Geriatrie und promovierte (PhD) am CNRS (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Frankreich), bevor sie sich auf dem Gebiet Tierernährung in der Tiernahrungsindustrie weiterbildete. Mehr lesen
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