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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 2 Marketing und Verkauf

Wie man ein guter Tierarzt wird (Teil 1)

veröffentlicht 28/04/2021

Geschrieben von Philippe Baralon , Antje Blättner , Pere Mercader und Mark Moran

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español , English und 한국어

„Wenn Ihr einziges Werkzeug ein Hammer ist, gleichen alle Probleme einem Hammer“. Dieses Kapitel beleuchtet verschiedene Faktoren, die Sie zu einem „guten Tierarzt“ machen und dafür sorgen, dass Sie Vertrauen in Ihre medizinischen Entscheidungen gewinnen.

Wie man ein guter Tierarzt wird

Kernaussagen

Als Tierarzt können Sie aus einer breiten Vielfalt unterschiedlicher beruflicher Möglichkeiten wählen. Wenn Sie nicht sicher sind, welcher Job zu Ihnen passt, haben Sie keine Angst, Dinge auszuprobieren. Und wenn es nicht klappt, probieren Sie etwas anderes.


Es gibt verschiedene Methoden, die Sie dabei unterstützen, Sicherheit zu gewinnen und Ihnen helfen, richtige medizinische Entscheidungen zu treffen.


Einleitung

Als Tierarzt haben Sie die Wahl, aus einer Vielfalt an beruflichen Möglichkeiten zu wählen. Diese Wahl sollte mit Bedacht getroffen werden, denn die veterinärmedizinischen Berufsfelder sind heute sehr spezialisiert, sodass der Umstieg von einem Bereich in einen anderen zwar nicht vollkommen unmöglich, aber doch zumindest nicht wünschenswert ist. Der Wechsel von einem Berufsfeld in ein anderes, wie z.B. von einer Kleintierpraxis in eine Großtierpraxis, bedeutet, dass eine Menge erworbenen Wissens verloren geht und dass man praktisch wieder von vorne beginnen muss. Bevor Sie sich also entscheiden, in welchem Bereich der Tiermedizin Sie arbeiten möchten, sollten Sie sich die Zeit nehmen und sich selbst folgende Fragen stellen:

  • Was für Ziele haben Sie persönlich? Wo sehen Sie sich selbst in fünf oder zehn Jahren? Welche Veränderungen werden sich in Ihrem bevorzugten Berufsfeld in der nächsten Zeit ergeben? Wie werden sich diese Veränderungen auf Sie und Ihre tägliche Arbeit auswirken?
  • Gewinnen Sie Einblicke und Erfahrungen in dem von Ihnen bevorzugten Bereich, z.B. durch Praktika. Dies wird es Ihnen erleichtern, eine fundierte Entscheidung für Ihre berufliche Zukunft zu treffen. Durch Praktika erhalten Sie wertvolle Informationen, die Sie definitiv nicht aus Büchern, sondern nur aus eigenen Erfahrungen beziehen können.

Wir möchten Ihnen mit dieser Lektüre einige Ratschläge mit auf den Weg geben. Dieses Kapitel enthält einige praktische Tipps, wie Sie einen bestmöglichen Start in eine Karriere als Tierarzt vorbereiten können.

Wählen Sie das Berufsfeld, das Ihnen am besten zusagt!

Die erste generelle Entscheidung wird sein, ob Sie mit Kleintieren, wie Hunden und Katzen oder mit Großtieren, wie Rindern oder Pferden arbeiten möchten. Wenn Sie noch nicht sicher sind, wo Ihre Zukunft liegen könnte – hier ein paar Schlüsselfaktoren, die Sie berücksichtigen sollten (Box 1). 
Box 1
Praktische Tipps für die richtige Entscheidung
  • Als Neuling wissen Sie nicht, wo Sie am besten passen.
  • Gewinnen Sie Einblicke in die jeweiligen Berufsfelder – je mehr, desto besser.
  • Probieren Sie alles – es gibt nichts zu verlieren!
  • Wenn Sie noch unentschlossen sind – probieren Sie einfach etwas anderes.
  • Stützen Sie Ihre Entscheidungen auf Ihren eigenen Erfahrungen.

 

Denken Sie an die Tiere, mit denen Sie arbeiten wollen!

Kleintiermedizin bedeutet medizinische Lösungen und Dienstleistungen für Haustiere, also Tiere, die in einer Familie leben und die Rolle eines Begleiters, evtl. sogar Kindes oder Lebenspartners innehaben. Im Gegensatz dazu ist der Großtierpraktiker vielmehr der Gesundheitsmanager für Nutztierbestände, also Rinder und Schweine oder auch ärztlicher Betreuer und Coach für Sporttiere wie Pferde (Abbildung 1).

Tierärzte, die heutzutage versuchen, alle diese Tätigkeitsbereiche abzudecken, sind eine gefährdete Spezies, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine Menge Stress dadurch haben, dass sie mit den in diesen Bereichen arbeitenden Spezialisten durch ständige Weiterbildung Schritt halten müssen.

 
 
Abbildung 1: In der Großtierpraxis ist eine ganz andere Art von Fachwissen gefragt, denn hier ist der Tierarzt eher der Gesundheitsmanager und Betreuer von Nutztierbeständen. © Shutterstock

Denken Sie an das Umfeld, in dem Sie arbeiten möchten!

Wenn Sie sich für die Arbeit als Großtierpraktiker entscheiden, müssen Sie bedenken, dass Sie bei jedem Wetter im Freien arbeiten werden und zwar Tag und Nacht. Außerdem müssen Sie täglich oft weite Strecken mit dem Auto fahren und die meiste Zeit alleine sein. Ein anderer Punkt ist, dass die gesetzlichen Vorschriften für lebensmittelproduzierende Tiere in den meisten Ländern immer strenger und komplexer werden, was immer mehr Einfluss auf die Arbeit des Tierarztes ausübt. In der Regel müssen Großtierpraktiker immer mehr Zeit auf organisatorische und administrative Arbeiten verwenden. Das ist ein Punkt, der signifikante Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit und den Karrierefortschritt hat.

In der Kleintierpraxis ist es hingegen üblicher, in einer Gemeinschaft aus Tierärzten, tiermedizinischen Fachkräften oder Rezeptionisten zu arbeiten. Die Patienten werden zu Ihnen in die Praxis gebracht, sodass Sie Ihre Arbeitszeit und die Arbeitsumgebung selbst gestalten und kontrollieren können. Allerdings gibt es auch Notfälle oder Sie müssen Hausbesuche durchführen. In manchen Ländern wird die Sparte der mobilen Tierarztpraxen immer beliebter. Ähnlich wie bei Großtieren kann sich aber auch die Behandlung von Kleintieren außerhalb der eigenen Praxis als deutlich komplizierter erweisen, was schon mit der Fixierung der Tiere beginnt. Auch die diagnostischenI Möglichkeiten sind außerhalb der Praxis begrenzt. Diese Faktoren sind zu berücksichtigen, wenn Sie sich für die Arbeit als mobiler Tierarzt entscheiden.

Denken Sie an die Mentalität der Tierbesitzer!

Ein weiterer Punkt, den Sie bei der Wahl Ihrer zukünftigen tierärztlichen Laufbahn berücksichtigen sollten, ist die Mentalität der Tierbesitzer mit denen Sie täglich zu tun haben werden. Die Einstellung von Tierbesitzern hinsichtlich ihrer Tiere unterscheidet sich enorm, je nachdem, ob es sich um Kleintiere oder Nutztiere handelt. Besitzer von Nutztieren leben davon, Tiere zu züchten und/oder für die Milch- bzw. Fleischproduktion zu halten, während Kleintierbesitzer die Tiere als Familienmitglieder ansehen (vielleicht mit Ausnahme von Wachhunden oder anderen Tieren, die für kommerzielle Zwecke gehalten werden). Diese völlig unterschiedlichen Aspekte der Tierhaltung gehen mit extrem unterschiedlichen Erwartungen der Kunden an den Tierarzt einher. Als Großtierpraktiker haben Sie es vorwiegend mit Herdenmanagement zu tun, sodass die Frage, ob man ein einzelnes Tier behandeln soll, oft eine Entscheidung über Leben und Tod ist, weil jede aufwändige Behandlung in der Regel eher unwirtschaftlich ist.

In der Kleintiermedizin hingegen werden die meisten Entscheidungen hinsichtlich Diagnostik und Therapie nicht allein anhand des Preises getroffen, auch wenn die Tierbesitzer immer preisbewusster werden. Die Kleintiermedizin ist eine viel emotionalere Angelegenheit. 

Die Auseinandersetzung mit Emotionen und den oft unrealistischen Erwartungen der Tierbesitzer macht daher einen Großteil der Kleintiermedizin aus – etwas, wofür viele Tierärzte in ihrer täglichen Arbeit nicht wirklich vorbereitet sind.

 

Allgemeinpraktiker oder Fachtierarzt?

AIn den letzten Jahren hat sich ein neues Wertesystem immer mehr durchgesetzt, zunächst an Universitäten und in der Folge bei der jüngeren Tierarztgeneration, nämlich dass „Spezialisten“ an der Spitze der beruflichen Hierarchie stehen und zwar weit über den „einfachen“ Allgemeinpraktikern. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass wir hier von zwei vollkommen unterschiedlichen Berufen reden. Das Wichtigste ist, dass jeder junge Tierarzt die Version wählen sollte, die am besten seinen persönlichen und beruflichen Ambitionen entspricht.
 
Der Allgemeinpraktiker befasst sich vorwiegend mit Präventivmedizin inklusive Screening sowie mit internistischer und chirurgischer Primärversorgung, was in der großen Mehrheit der Praxen und Kliniken unter guten Bedingungen durchgeführt werden kann. Somit umfasst die Tätigkeit des Allgemeinpraktikers alle Disziplinen der Tiermedizin und erfordert eine breitgefächerte Fachkompetenz und einen vielfältigen Fokus auf berufliche Fort- und Weiterbildung. Kunden von Allgemeinpraktikern sind Tierbesitzer, die ihr ganzes Vertrauen in den praktischen Tierarzt setzen.
 
Fachtierärzte praktizieren fast ausschließlich in ihrer eigenen Fachrichtung und zwar medizinisch und/oder chirurgisch. Dafür sind spezielle Fertigkeiten und/oder fachliche Expertise bzw. ein ganzes Team erforderlich, was der Grund dafür ist, dass es nur eine relativ geringe Anzahl solcher Fachpraxen oder Fachkliniken gibt. Die fachmedizinische Versorgung der Patienten erfordert spezielle Kenntnisse auf einem fokussierten, speziellen Fachgebiet und somit auch eine kontinuierliche, intensive Fort- und Weiterbildung.
 
Die beiden Berufsbilder lassen sich hinsichtlich fachlicher oder wissenschaftlicher Kenntnisse nicht miteinander vergleichen, da Spezialisten auf einem bestimmten Gebiet kompetenter, dafür aber in anderen Fachbereichen oft weniger versiert sind. 
 

 

Mark Moran

Die fachmedizinische Versorgung der Patienten erfordert spezielle Kenntnisse auf einem fokussierten, speziellen Fachgebiet und somit auch eine kontinuierliche, intensive Fort- und Weiterbildung.

Mark Moran

Somit ergeben sich hinsichtlich der Anforderungen an die zwischenmenschliche Kommunikation klare Unterschiede:

  • Allgemeinpraktiker interagieren hauptsächlich mit den Tierbesitzern, und es hängt von ihrem Kommunikationstalent ab, inwieweit sie ihre fachliche Kompetenz wirksam darstellen können, denn sie müssen den Besitzern den Zustand des Tieres entsprechend erklären, damit diese die Notwendigkeit der Behandlung tatsächlich verstehen.
  • Fachtierärzte hingegen kommunizieren primär mit dem überweisenden Allgemeinpraktiker, was nicht immer die einfachere Aufgabe ist (Abbildung 2). Außerdem müssen auch sie unter Umständen mit dem Tierbesitzer kommunizieren; dies kann aber von Fachtierarzt zu Fachtierart stark variieren. 
 
Abbildung 2: Wenn Sie sich für eine Karriere als Fachtierarzt entscheiden und eine gute Kommunikationsfähigkeit besitzen, können Sie zusätzlich Redner bei Tiermedizinkongressen werden. © Matej Kastelic

Der größte Unterschied zwischen den beiden Berufsrichtungen zeigt sich im Karriereverlauf, insbesondere zu Beginn der Karriere.

  • Von Allgemeinpraktikern wird erwartet, sofort nach Abschluss ihres Studiums in der Lage zu sein, in einer Tierarztpraxis zu arbeiten. Logischerweise heißt das nicht, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits über alle nötigen Fertigkeiten verfügen, sodass sie ihre praktische, fachliche Ausbildung in den ersten fünf Jahren intensiv fortsetzen sollten. Da dies eine Vielfalt an Disziplinen umfasst, müssen Allgemeinpraktiker einen besonders aufwändigen Weg der beruflichen Entwicklung auf sich nehmen. Weil Allgemeinpraktiker während ihrer gesamten beruflichen Karriere ein entsprechend hohes Niveau an fachlicher Kompetenz aufrechterhalten müssen, hängt ihr Karrierefortschritt von ihren weiteren Fähigkeiten ab, wie z.B. soziale Beziehungen, unternehmerisches Talent, Managerfähigkeiten und Führungstalent. Um also berufliche Fortschritte zu erzielen, müssen sich Allgemeinpraktiker vermehrt das neueste Know-how im Bereich von Management und Verwaltung aneignen, um in der Lage zu sein, im Rahmen ihrer Anstellung Verantwortung für einen bestimmten Tätigkeitsbereich zu übernehmen. Schließlich müssen Allgemeinpraktiker, wenn sie in einer bestehenden Praxis zum Partner werden oder eine eigene Praxis aufmachen, in der Lage sein, einen Betrieb zu führen.

  • Tierärzte, die den Weg zum Fachtierarzt einschlagen, folgen einem international anerkannten Weiterbildungsweg in Form einer Internship, gefolgt von der sogenannten Residency (bei einem anerkannten, qualifizierten Fachtierarzt). Erst danach wird die Prüfung zum Fachtierarzt abgelegt (mehr Einzelheiten dazu auf http://ebvs.eu/colleges). Somit dauert die Weiterbildung zum Fachtierarzt insgesamt fünf Jahre. Der erste Abschnitt dieser beruflichen Karriere besteht folglich im Wesentlichen aus der fachlichen und wissenschaftlichen Weiterbildung. Dennoch sollten aber zwischenmenschliche und unternehmerische Fähigkeiten sowie Führungsqualitäten nicht vernachlässigt werden. Der weitere Karrierefortschritt wird dann entweder vollständig in die fachliche bzw. wissenschaftliche Richtung gehen (z.B. an verschiedenen Fachkliniken) oder – wahrscheinlich seltener – auch ein unternehmerisches und administratives Element enthalten, wenn der Fachtierarzt z.B. Partner in einer bestehenden Fachtierklinik wird. Neue Start-ups und Praxisübernahmen sind aufgrund der beträchtlichen Kosten aber eher selten.

Die eben definierten Optionen für einen möglichen Karrierefortschritt gehen mit unterschiedlichen finanziellen Konsequenzen einher: Fachtierärzte verdienen am Anfang ihrer Karriere deutlich weniger als Allgemeinpraktiker, dafür sind deren Arbeitsbedingungen allerdings auch härter. Danach sind die Unterschiede im Verdienst weniger gravierend und hängen mehr von der jeweiligen Arbeitsplatzstruktur ab. Fachtierärzte verdienen oft sehr gut. Doch auch Allgemeinpraktiker können ein hohes Einkommen erreichen, insbesondere, wenn sie sich für Zusatzbezeichnungen qualifizieren oder eine eigene Praxis aufmachen.

Die erwähnten Unterschiede zwischen den beiden genannten Berufswegen sollen vor allem unterstreichen, dass die Entscheidung für eine der beiden Optionen nicht auf irgendeiner romantischen Berufsvorstellung oder einem kulturell basierten Wertesystem beruhen sollte, sondern, wann immer möglich, eine informierte Entscheidung aufgrund persönlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie individueller Ambitionen sein sollte.

 

Klinische Erfahrung

Als frisch gebackener Tierarzt bzw. als Tierarzt, der seine berufliche Laufbahn verändert, ist es sehr wichtig, klinische Erfahrung im „wirklichen“ Leben zu gewinnen, und zwar unabhängig davon, wie umfassend oder anspruchsvoll die universitäre Ausbildung an der tiermedizinischen Fakultät war (Abbildung 3). Zudem ist es eine hervorragende Möglichkeit, einen ersten echten Einblick in das Berufsleben des Tierarztes zu erhalten. So können Sie gleich sehen, ob Sie die richtige Berufswahl getroffen haben. Praktische klinische Erfahrungen sind der erste Schritt in die von Ihnen geplante berufliche Karriere. Manchmal wird Erfahrung auch ausdrücklich in Stellenangeboten gefordert. In jedem Fall ist es aber immer ein großer Trumpf und Vorteil, wenn Sie bei Ihrer ersten Bewerbung um eine Stelle bereits praktische Erfahrung vorweisen können. Proaktiv zu sein, sich um Praktika zu bemühen und sich bietende Gelegen heiten zu nutzen, zeigt jedem zukünftigen Arbeitgeber auch, dass Sie Initiative, Tatkraft und die richtige Einstellung für die täglichen Herausfor derungen des Lebens als Tierarzt haben. Außerdem kommt es oft vor, dass man im Anschluss an ein Praktikum, bei dem man einen guten Eindruck hinterlassen hat, eine Anstellung angeboten bekommt.
 
Abbildung 3: Praktische klinische Erfahrungen sind der erste Schritt in die von Ihnen geplante berufliche Karriere. © Shutterstock

 Mögliche Optionen

Klinische Erfahrung wird oft im Rahmen von Praktika oder einem Internship gesammelt. Manchmal bekommt man aber auch die Gelegenheit, im Rahmen eines bezahlten Jobs Erfahrungen zu sammeln, ohne dass man – zumindest anfangs – Verantwortung übernehmen muss. Bevor Sie sich um ein Praktikum bemühen, sollte Ihnen klar sein, auf welchen Bereich Sie sich in Ihrer zukünftigen Berufskarriere konzentrieren wollen. Wenn Sie z.B. als Allgemein praktiker für Kleintiere arbeiten möchten, dann sollten Sie sich um Praktikumsmöglichkeiten auf diesem Gebiet umsehen. Nutzen Sie das Internet und andere Quellen, um die vorhandenen Optionen in der Nähe Ihres Wohnortes bzw. in annehmbarer Distanz zu durchforsten. Wenn Sie hingegen Ihre Zukunft eher in der Kleintierorthopädie oder der Kardiologie sehen, dann müssen Sie für ein Praktikum an einer spezialisierten Klinik unter Umständen längere Anfahrtszeiten in Kauf nehmen. In jedem Fall ist es aber empfehlenswert, „ganz unten“ zu beginnen und erste Erfahrungen in einer Allgemein praxis zu sammeln und sich erst dann auf einen bestimmten Fachbereich zu konzentrieren.

 

Philippe Baralon

Proaktiv zu sein, sich um Praktika zu bemühen und sich bietende Gelegen heiten zu nutzen, zeigt jedem zukünftigen Arbeitgeber auch, dass Sie Initiative, Tatkraft und die richtige Einstellung für die täglichen Herausfor derungen des Lebens als Tierarzt haben.

Philippe Baralon

Seien Sie proaktiv!

Haben Sie Praxen gefunden, die für ein Praktikum infrage kommen, müssen Sie Ihre Bewerbungsunterlagen vorbereiten, die alle Zeugnisse, Belege für sonstige Studienleistungen sowie einen professionell gestalteten Lebenslauf enthalten. Überlegen Sie sich auch, wie lange Ihre „Lehrzeit“ sein soll. Empfehlenswert sind mindestens drei Monate. Der nächste Schritt ist, die Praxis oder Klinik zu kontaktieren, um mit der zuständigen Person einen Termin für ein persönliches Gespräch auszumachen. Sie sollten immer versuchen, sich persönlich vorzustellen und sich um ein Praktikum zu bewerben, und nur, wenn es nicht anders möglich ist, die Bewerbung per Post oder E-Mail zu schicken. 


Überprüfen Sie Ihre Wahl!

Es empfiehlt sich immer, mehrere Optionen für ein Praktikum zu haben, denn dann kann man die Angebote vergleichen. Hier einige wichtige Punkte, die Sie im Bewerbungsgespräch ansprechen sollten:

  • Hat die Praxis/Klinik Erfahrung oder sogar einen Plan für die Ausbildung von Praktikanten?
  • Was erwartet Ihr Chef/das Team von Ihnen? Fragen Sie z.B., ob Sie bestimmte einfache, Ihrem Wissensstand entsprechende Tätigkeiten alleine durchführen dürfen.
  • Wie wird die Arbeitszeit sein? Müssen Sie auch bei Not- oder Wochenenddiensten anwesend sein?
  • Gibt es ein Gehalt und/oder eine Vergütung für Reisespesen?
  • Wie ist die übliche Praktikumsdauer in dieser Praxis/Klinik?

Seien Sie locker und fragen Sie alles, was Ihnen sonst noch Wichtiges einfällt. Es gibt keine dummen Fragen, und außerdem sind Sie schließlich Anfänger! Machen Sie sich Notizen und klären Sie zum Ende des Gesprächs, wie und wann Sie erfahren, ob Sie als Praktikant angenommen werden – es sei denn, Sie sind beide voneinander so begeistert, dass Sie sofort dort zu arbeiten beginnen! Verlassen Sie die Praxis/Klinik nie, ohne zu wissen, wie es mit Ihrer Bewerbung weitergeht! Wenn Sie alle Bewerbungsgespräche geführt haben, sehen Sie in Ruhe Ihre Notizen durch und erinnern Sie sich daran, wie Sie sich in der jeweiligen Praxis gefühlt haben. Wenn Sie nämlich tatsächlich ein Angebot erhalten sollten, dann können Sie noch überlegen, ob Sie sich dort durch das Team tatsächlich willkommen gefühlt haben und ob es wirklich der richtige Ort ist, wo Sie unter wohlwollender Aufsicht wertvolle Erfahrungen sammeln können. Halten Sie sich fern von Praxen/Kliniken, die den Eindruck vermitteln, dass sie nur ein unbezahltes Teammitglied suchen! In der Regel ist das verlorene Zeit, auch wenn Sie den Job gerne haben wollen. Es können sich immer noch bessere Optionen ergeben!


Sicherheit gewinnen

Aller Anfang ist schwer, insbesondere in Berufen, wo Sie täglich viele Entscheidungen treffen müssen – Entscheidungen, die weitreichende Konsequenzen haben. Es ist eine Herausforderung, das Gewicht der Verantwortung für die Gesundheit und das Wohlbefinden eines Tieres auf unseren Schultern zu spüren und dabei auch noch mit dem fordernden Verhalten Ihres Chefs oder der Kunden zurechtzukommen. Glücklicherweise können Sie den Prozess des Gewinnens an Sicherheit und Vertrauen in Ihre eigenen medizinischen Entscheidungen selbst beeinflussen.


Finden Sie einen guten Mentor!

Es ist in Ihrem Interesse, dass Sie ein Arbeitsumfeld finden, wo Ihnen ein Mentor zugeteilt wird, der Sie unter seine Fittiche nimmt und Sie dabei unterstützt, Ihre ersten Schritte als Tierarzt zu machen. Einen guten Mentor zu haben, der Sie schult und leitet, ist der beste Start in Ihr Berufsleben.

Deshalb sollten Sie an diesen Punkt bereits bei Ihrem ersten Jobinterview denken. Haben Sie bereits mit Ihrem Praktikum/Ihrer Arbeit begonnen und gibt es niemanden, der Ihnen als Coach zugewiesen wurde, dann versuchen Sie, sich selbst jemanden aus dem Praxisteam zu suchen. Wenn Sie merken, dass es allen in der Praxis ziemlich egal ist, ob Sie Hilfe oder Unterstützung brauchen, dann sollten Sie sich vielleicht um ein anderes Praktikum/eine andere Stelle umsehen. Fehlende Anleitung und Hilfestellung in dieser entscheidenden Phase Ihres Berufslebens kann zu dauerhaftem geringem Selbstvertrauen führen, wenn es darum geht, medizinische Entscheidungen zu treffen.

Sobald Sie aber Ihren „medizinischen Coach“ gefunden haben, halten Sie engen Kontakt zu ihm und planen Sie häufige und regelmäßige Treffen ein, bis Sie sich bei Ihrer Arbeit sicherer fühlen. Sie können Ihren Mentor Ihrerseits dadurch unterstützen, dass Sie ihm ehrlich sagen, wie seine Ratschläge am besten bei Ihnen ankommen (in gesprochener oder schriftlicher Form oder durch überwachtes Arbeiten) und wo Ihre Stärken und Schwächen liegen.

Aus Fehlern lernen!

Wenn Sie etwas Neues lernen, sollten Sie immer damit rechnen, dass Fehler passieren können – egal, wie gut ausgebildet und pflichtbewusst Sie sind! Fehler sind eine hervorragende Möglichkeit, zu lernen – vorausgesetzt Sie gehen auf professionelle Art und Weise damit um. Seien Sie ehrlich zu sich selbst und geben Sie Fehler zu. So können Sie sie gründlich hinterfragen. Sehen Sie sich mit Ihrem Coach die Umstände an, die dazu führten, dass Sie eine falsche oder suboptimale Entscheidung getroffen haben. Analysieren Sie die medizinischen Fälle Schritt für Schritt, um Ihre
Diagnostik und Ihre Therapieentscheidung zu überprüfen und besprechen Sie diese mit Ihrem Mentor oder einem anderen erfahrenen Tierarzt, dem Sie vertrauen. Versuchen Sie herauszufinden, welche anderen Umstände außer Ihrer mangelnden Erfahrung Sie bewogen haben, diese erste (falsche) Entscheidung zu treffen. Vielleicht waren Sie durch etwas abgelenkt oder unter Stress. Solche äußeren Faktoren können, sobald man sie identifiziert hat, aber einfach abgestellt werden.
 
Bedenken Sie auch, dass sich manche Faktoren Ihrer Kontrolle und Ihrem Einfluss entziehen. Dazu zählt unter anderem ein Gesundheitsproblem des Tieres, das sich trotz der Routinediagnostik mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht feststellen ließ. In medizinischen Berufen gibt es immer das Problem versteckter Gesundheitsprobleme, die sich negativ auf die noch so ausgeklügeltste Diagnostik und Therapie auswirken. Dies passiert auch den erfahrensten und besten Ärzten. Hier handelt es sich dann nicht um Fehler, sondern um Gegebenheiten in der medizinischen Arbeit.


Selbständig werden

Sobald Sie Vertrauen in Ihre eigenen medizinischen Entscheidungen gewonnen haben, können die Gespräche mit Ihrem Coach seltener werden und die Unterstützung durch ihn kann schrittweise reduziert werden. Solange Sie aber noch nicht vollständig sicher in Ihren medizinischen Entscheidungen sind, sollten Sie weiterhin ein regelmäßiges Feedback von Ihrem Mentor suchen. Selbständig in seiner Arbeit zu werden, ist sehr wichtig, damit Sie nicht am Ende während Ihres gesamten Berufslebens am Rockzipfel Ihrer Kollegen hängen. Feedback zu erhalten und zu geben, bedeutet in einem medizinischen Team, dass Sie Ihre Entscheidung selbst treffen und diese danach mit Ihren Kollegen diskutieren. Dies gibt Ihnen die Gewissheit, dass Sie nichts übersehen haben, und stärkt außerdem die Kommunikation im Team. Zudem gibt es Ihnen das gute Gefühl, dass Sie für Ihre Arbeit geschätzt werden. Kontinuierliches Feedback ist etwas, das Sie als wichtiges Routineelement während Ihres gesamten Berufslebens aufrechterhalten sollten.


Ein Netzwerk aufbauen

Auch wenn Sie bereits genügend Sicherheit gewonnen haben und in der Lage sind, alleine medizinische Entscheidungen zu treffen und die volle Verantwortung für Ihre Fälle zu übernehmen, sollten Sie doch ein berufliches Netzwerk aufbauen, das Ihnen Unterstützung geben kann. Suchen Sie Personen aus, denen Sie vertrauen, die einen vergleichbaren Bildungsstand sowie solides Wissen in verschiedenen Bereichen der Tiermedizin haben. So können Sie untereinander Ideen austauschen und sich gegenseitig unterstützen (Abbildung 4). Ein derartiges Netzwerk kann sehr wichtig werden, wenn Sie einen besonders schwierigen Fall haben, es ist aber auch im täglichen Berufsleben von Nutzen. Auch wenn man sich vom medizinischen Standpunkt aus sehr sicher ist, gibt es doch Fälle, wo wir gerne von Kollegen eine zweite Meinung bzw. ein Feedback hätten.
Abbildung 4: Es ist gut, ein eigenes berufliches Netzwerk aufzubauen, das Ihnen als Unterstützung dienen kann. © Shutterstock

Über ein berufliches Netzwerk zu verfügen, ist auch hilfreich, wenn man sich über Ereignisse „menschlicher Natur“, die sich in einer Tierarztpraxis mit Kunden oder dem Team unweigerlich ergeben, austauschen möchte. Dies können angenehme oder lustige Vorkommnisse sein, die Sie gerne mit anderen teilen möchten, aber auch schwierige Situationen, die das tierärztliche Leben oft ganz schön hart machen können. Zum Beispiel Ihre erste Euthanasie bei einem Hund, der einem alten, alleinstehenden Menschen gehört oder eine Streiterei mit einem Kunden über Ihre Gebühren oder die Behandlung des Tieres. Derlei Vorkommnisse mit jemandem Unbeteiligten besprechen zu können, kann oft sehr hilfreich sein. Mit einem Dritten kann man das eigene Verhalten hinterfragen und eine Rückmeldung oder Tipps erhalten, wie man derlei Fälle in Zukunft vielleicht besser handhaben kann.

Ein berufliches Netzwerk trägt aber auch zu einem gesunden Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben bei, da man bei medizinischen oder menschlichen Problemen im Beruf ein Feedback von Kollegen bekommt und das Problem nicht mit nach Hause nehmen muss. Solche Fälle mit Familie oder Freunden zu diskutieren, hindert uns nämlich daran, Berufs- und Privatleben zu trennen. Wenn Mitglieder Ihres beruflichen Netzwerkes gleichzeitig persönliche Freunde sind, dann sollte es Teil des Netzwerkkonzeptes sein, Berufliches bei der Arbeit und nicht im privaten Kreis zu besprechen. Fachgespräche mit Freunden und Familienmitgliedern sollten strikte Ausnahmen bleiben.

 
Philippe Baralon

Philippe Baralon

Dr. Baralon absolvierte 1984 die École Nationale Vétérinaire in Toulouse (Frankreich) und studierte anschließend Volkswirtschaftslehre (Master of Economics, Toulouse, 1985) und Betriebswirtschaftslehre (MBA, HEC-Paris 1990). Mehr lesen

Antje Blättner

Antje Blättner

Dr. Blaettner wuchs in Südafrika und Deutschland auf und graduierte 1988 nach dem Veterinärmedizinstudium in Berlin und München. Mehr lesen

Pere Mercader

Pere Mercader

Dr. Mercader etablierte sich 2001 als Praxismanagement-Berater für Tierkliniken und hat seitdem diesen Beruf in Spanien, Portugal und einigen lateinamerikanischen Ländern entwickelt. Mehr lesen

Mark Moran

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Mark Moran ist seit 19 Jahren als Berater für die Tierärzteschaft tätig und bietet Mentoring und Unterstützung für Inhaber von Tierarztpraxen und deren Mitarbeiter in Schlüsselpositionen. Mehr lesen

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