Praxisketten - Korporatisierung in der Tiermedizin
Die explosionsartige Steigerung der Korporatisierung im Bereich tierärztlicher Praxen über die vergangenen 20 Jahre kann man nur als phänomenal bezeichnen...
Ausgabe nummer 30.3 Sonstiges Wissenschaft
veröffentlicht 03/12/2020
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An Arbeitshunde werden bei der Ausübung ihrer Pflichten besonders hohe Anforderungen gestellt. In diesem Artikel erörtern die Autorinnen, wie ein guter Start ins Welpenalter optimale Voraussetzungen für eine lebenslange Aktivität bei dieser besonders geforderten Gruppe von Hunden schaffen kann.
Konditionierungsprogramme verbessern bei jugendlichen humanen Sportlern die Leistungsfähigkeit und reduzieren muskuloskelettale Verletzungen. Ähnliche Vorteile werden auch bei Hunden erwartet, bei denen ähnliche Maßnahmen im Welpenalter eingeleitet werden.
Leistungs- und Arbeitshunde sind bei der Ausübung ihrer Pflichten spezifischen körperlichen Anforderungen ausgesetzt, die Prädispositionen für ein erhöhtes Risiko bestimmter Verletzungen darstellen können.
Die richtige Sozialisierung und Konditionierung von Hundewelpen erfordert ein präzises Verständnis der Zeitachse und der chronologischen Abfolge ihrer neuronalen Entwicklung.
Alle Hunde erreichen eine bessere physiologische und behaviorale Gesundheit, wenn sie gemäß ihres Entwicklungsstadiums sozialisiert und konditioniert werden.
Arbeits- und Leistungshunde sind Berufsathleten, an die außerordentliche körperliche Anforderungen gestellt werden. Es steht viel auf dem Spiel für diese Hunde, da sowohl ihre eigene Sicherheit, als auch die Sicherheit vieler Menschen von ihrer Fähigkeit abhängen, ihre Aufgaben schnell und gewandt zu erfüllen. Oft müssen diese Hunde sehr kurzfristig bereit sein, eine Verfolgung in Sprintgeschwindigkeit aufzunehmen, oder sich bei einer Suchübung in variablem Gelände fortzubewegen. Für die Ausbildung und das Training dieser hochspezialisierten Hunde werden darüber hinaus enorme Ressourcen eingesetzt, so dass ein hoher Anreiz besteht, die Zeitspanne, in der diese Hunde ihre Spitzenleistungen erbringen können, so lang wie möglich auszudehnen. Ein entscheidend wichtiger Aspekt bei ihrer Betreuung und bei ihrer Vorbereitung auf mögliche Einsätze ist es deshalb sicherzustellen, dass diese Hunde angemessen konditioniert sind. Bei Hunden, die als Arbeits- und Sporthunde gezüchtet werden, sollte das Konditionieren und das funktionelle neuromuskuläre Training bereits im Welpenalter beginnen. Auf der Grundlage von Erkenntnissen aus der humanen Sportwissenschaft erwartet man, dass die frühe Einleitung solcher Maßnahmen im Welpenalter die spätere Leistungsfähigkeit optimiert und das Verletzungsrisiko reduziert.
Natürlich sind nicht alle Welpen für einen späteren Einsatz als Arbeits- oder Leistungshunde vorgesehen. Die bei Arbeitshunden angewendeten Prinzipien der Konditionierung, können aber auch bei Welpen angewendet werden, die als Familienhunde vorgesehen sind. Generell kann Trainieren elementarer Bewegungsabläufe bei einem Welpen im adulten Alter substanziell auszahlen. Ebenso wie beim Menschen, hilft eine grundlegende Konditionierung auch bei Hunden bei der Aufrechterhaltung des optimalen Körpergewichts, sie trägt darüber hinaus zu einem gesünderen Stoffwechselprofil bei, verringert das Risiko von Verletzungen und bestimmter chronischer Erkrankungen und fördert nicht zuletzt eine schmerzfreie Bewegung über die gesamte Lebenszeit des Hundes.
Die Entwicklung und die Gestaltung von Konditionierungsprogrammen für Hochleistungsarbeits- und Sporthunde erfordern zunächst ein umfassendes Verständnis der physiologischen und biomechanischen Anforderungen, die an diese Tiere bei ihren spezifischen Aktivitäten gestellt werden. Unsere Hunde nehmen an einer großen Bandbreite verschiedenster Aktivitäten teil, von einfachen Freizeitbeschäftigungen bis hin zu sportlichen Wettbewerben im Hochleistungsbereich und den vielfältigen Aufgaben von Arbeits- und Diensthunden. Das dazu jeweils passende Training kann variabel entlang eines sehr breiten Spektrums von niedriger bis sehr hoher Intensität eingeordnet werden, das heißt, ein Hund kann ein „Freizeitsportler“ sein oder aber ein Hochleistungsathlet in sportlichen Wettbewerben oder im Such- und Rettungseinsatz und er muss entweder sprinten können oder über lange Strecken ausdauernd laufen. Die meisten dieser aktiven Hunde müssen an bestimmten Punkten ihrer Aktivitäten sprinten, Hindernisse überwinden, scharfe Wendungen bei Höchstgeschwindigkeit vollziehen, über Wände und Zäune klettern, sich auf instabilem Untergrund bewegen und potenziell hochgradigen Kompressions- und Beugekräften standhalten, die auf ihre Wirbelsäule einwirken. Die Geruchsarbeit verlangt von Hunden das Durchsuchen von Räumen, weitläufigen Landstrichen, Fahrzeugen oder anderen Bereichen, oft an Orten, an denen eine kriechende Fortbewegung oder eine Fortbewegung auf instabilem Untergrund erforderlich ist, ohne, dass die Hunde dabei ermüden dürfen (Abbildung 1). Damit aktive Hunde solche Höchstleistungen erbringen können, sind zahlreiche physische Attribute wie Kraft, Ausdauer, Flexibilität, Propriozeption und Balance erforderlich. Einige dieser körperlichen Fähigkeiten können gefahrlos bereits im Welpenalter trainiert werden, stets aber unter Berücksichtigung der Rasse, des Alters, der Ernährung, der Umwelt und zahlreicher anderer Faktoren, die die Entwicklung eines Hundewelpen beeinflussen können.
Die fundierte Kenntnis der unterschiedlichen Typen und Häufigkeiten von Verletzungen, die sich Leistungshunde im Rahmen ihrer Aktivitäten zuziehen können, ermöglicht eine enge Einbindung präventiver Strategien in entsprechende Trainingsprogramme. In der Literatur findet man nicht wenige Informationen über muskuloskelettale Verletzungen bei Arbeits- und Sporthunden, die zum Teil aber auf Berichten von Besitzern und Hundeführern basieren und weniger auf dokumentierten tierärztlichen Diagnosen. Eine Studie analysierte retrospektiv die Patientenakten von 245 Militärarbeitshunden, um Gründe für das Ausscheiden aus dem Dienst zu evaluieren, und fand heraus, dass Erkrankungen der Wirbelsäule und/oder degenerative Gelenkerkrankungen für 56,3 % aller Dienstentlassungen bei Hunden im Alter von fünf Jahren oder älter verantwortlich waren 1. Eine frühere retrospektive Analyse der Patientenakten von 927 Militärdiensthunden stellte fest, dass degenerative Gelenkerkrankungen im Bereich des Gliedmaßenskeletts (19,2 %) und Wirbelsäulenerkrankungen/Cauda-equina-Syndrom (15,6 %) zu den zwei der drei häufigsten Gründe für Tod oder Euthanasie gehörten 2. Eine Studie über Militärdiensthunde, die während ihrer Stationierung im Irak aufgrund von außerhalb von Kampfeinsätzen entstandenen Verletzungen behandelt wurden, zeigt, dass muskuloskelettale Verletzungen der vierthäufigste Grund für die Inanspruchnahme tierärztlicher Hilfe waren 3. Ein Bericht zum Vergleich von Notfallkonsultationen Deutscher Schäferhunde, die als Polizeihunde genutzt oder als private Familienhunde gehalten wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass die Polizeihunde mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgrund von orthopädischen Verletzungen als Notfälle vorgestellt wurden als die Familienhunde 4. Polizeihundeführer in Neuseeland berichten, dass nur 29 % ihrer Hunde eine uneingeschränkte motorische Funktion haben, und dass die funktionelle Beurteilung mit zunehmendem Alter der Hunde deutlich schlechter wird 5. Such- und Rettungshunde, die in der Folge der terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 eingesetzt wurden, wiesen zwei problematische orthopädische oder spinale Ereignisse pro 1000 Suchstunden auf 6. Eine Umfrage unter Agility-Hundeführern ergab, dass bei 32 % aller Trainings- und Wettbewerbshunde mindestens eine Verletzung dokumentiert wird 7. Eine nahezu identische Verletzungsrate (33 %) bei Agility-Hunden wird in einer anderen Umfrage unter Hundeführern beschrieben 8, wobei 58 % dieser Verletzungen während eines Wettbewerbs auftraten. Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so scheinen muskuloskelettale Verletzungen und Erkrankungen bei Leistungshunden eine Schlüsselrolle für tierärztliche Maßnahmen und für das Ausscheiden aus dem Dienst oder aus dem Wettbewerbsbetrieb zu spielen. Dies ist ein Beleg für die dringende Notwendigkeit der Entwicklung entsprechender präventiver Strategien.
Bei jungen und heranwachsenden humanen Sportlern sind neuromuskuläre Trainingsprogramme ganz entscheidend für eine Reduzierung des Risikos muskuloskelettaler Verletzungen. Von Studie zu Studie unterscheiden sich solche Programme. Sie basieren im Allgemeinen jedoch auf der Anwendung verschiedener Übungen mit Fokus auf Balance und Propriozeption, Plyometrie (Trainieren des muskulären Dehnungs-Verkürzugszyklus) und Koordination. Entsprechende Programme, die bei Jugendlichen in unterschiedlichen Sportarten über einen Zeitraum von sechs Wochen oder länger in den Trainingsplan integriert wurden, führten nachweislich zu einer reduzierten Inzidenz Sport-assoziierter Verletzungen der distalen Extremitäten im Allgemeinen 9 10 11, aber auch spezifischer Verletzungen wie Rupturen des vorderen Kreuzbandes 12 und Supinationstraumata des Sprunggelenks 13 und darüber hinaus zu einer Verbesserung der Balance und der Körperwahrnehmung 14 bei jungen Sportlern. Die meisten bis heute vorliegenden Studien zu dieser Thematik fokussieren sich jedoch in erster Linie auf Mittel- und Oberstufenschüler. Zukünftige Studien sollten sich daher auch mit der Verletzungsprävention und der Leistungsverbesserung bei jüngeren Kindern beschäftigen und spezifische Trainingsprogramme miteinander vergleichen.
Bei jungen humanen Sportlern scheint eine schlechte Konditionierung einer der Hauptrisikofaktoren für Sport-assoziierte Verletzungen zu sein. Viele Arbeitshunde sind überraschend schlecht konditioniert, und dies trotz der bekanntermaßen hohen physischen Anforderungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Einige bei humanen Sportlern häufig auftretende Verletzungen haben deutliche Parallelen bei Arbeitshunden. Analoge Interventionsstrategien im Welpenalter dürften daher wahrscheinlich auch zu einer Reduzierung entsprechender Verletzungen bei Arbeits- und Diensthunden beitragen. Bei Welpen von Arbeitshunden dürften diese Programme, wie zum Beispiel die Exposition gegenüber neuen, ungewohnten Oberflächen, Hindernissen und Interaktionen mit Menschen, zusätzliche Vorteile bringen, wie zum Beispiel eine verbesserte Orientierungs- und Fortbewegungsfähigkeit, ein höheres Selbstvertrauen, ein besseres Körperbewusstsein und eine verbesserte Propriozeption. Nach Kenntnis der Autorinnen gibt es bislang keine veröffentlichten Evaluierungen oder Entwürfe von Programmen, die sicher und effektiv an die jeweilige Wachstumsperiode von Hundewelpen angepasst sind. Die Entwicklung passender neuromuskulärer Trainingsprogramme für die verschiedenen Wachstumsstadien erfordert jedoch ein umfassendes Verständnis der neuronalen Entwicklung von Hundewelpen. Zur Orientierung bietet sich hier eine Analyse der Entwicklungsstadien von Kindern an.
Kinder scheinen neuromotorische Fähigkeiten in cephalokaudaler Richtung (vom Kopf in Richtung der distalen Extremitäten) und in proximodistaler Richtung (vom Rumpf in Richtung distaler Extremitäten) zu entwickeln. In ihrem ersten Lebensjahr befinden sich Kinder in einer reflexiven Bewegungsphase, während der sie allmählich mehr über ihren Körper und die den Körper umgebende Welt lernen. Diese Wahrnehmungen beeinflussen die Bildung neuronaler Netze zwischen Körper und Gehirn. Anfangs sind primitive Reflexe vorhanden, wie zum Beispiel das Suchen der mütterlichen Brust und das Saugen. Dann beginnen sich Haltungsreflexe zu entwickeln als Vorbereitung auf die sich in der weiteren Entwicklung ausbildenden willkürlichen Bewegungen. Dazu gehören der Aufrichtreflex, der das Gleichgewicht beurteilt, der Krabbelreflex, der die willkürliche Vorwärtsbewegung vorbereitet, sowie der palmare Greifreflex. Während des ersten Lebensjahres lernt das Kind, die Kontrolle über Kopf und Hals für die Stabilisierung zu gewinnen, und initiiert zunächst grobe willkürliche Bewegungen. Im Alter von einem Jahr beginnen diese Bewegungen allmählich immer kontrollierter zu werden, so dass das Kleinkind jetzt zunehmend in der Lage ist, Extremitätensegmente zielgerichtet zu bewegen und willkürliche Manipulationen von Objekten in der Umwelt durchzuführen.
Andrea L. Henderson
In der Phase des „Erwerbs motorischer Grundfertigkeiten“ im Alter zwischen 3 und 7 Jahren erforschen und entwickeln Kinder ihre körperliche Bewegung und ihr Potenzial für zunehmend komplexere Handlungen. Anfangs sind diese Bewegungen unkoordiniert und tendenziell übertrieben, in der Phase zwischen 3 und 5 Jahren entwickeln Kinder jedoch eine graduelle Verbesserung der Kontrolle und der Präzision ihre Handlungen. Diese Periode umfasst auch die Entwicklung von Handlungen wie Rennen und Springen, Balancieren auf einem Balken oder auf einem Bein und – im späteren Stadium dieser Phase – auch das Werfen und Fangen von Objekten. Diese Wachstumsphase eignet sich für Manipulationen einer ganzen Reihe von elementaren Fähigkeiten, die für spätere sportliche Leistungen erforderlich sind. Dies ist entscheidend wichtig, da Umweltstimuli einen großen Einfluss auf die in diesem begrenzten Zeitrahmen sattfindende Entwicklung der fundamentalen Bewegungen haben. In der Tat verharren manche erwachsene Menschen bei bestimmten Aktivitäten in diesen frühen Entwicklungsstadien, wenn diese Aktivitäten in dieser Phase nicht durch externe Manipulation in ausreichendem Maße praktiziert, trainiert und verfeinert werden. Ab einem Alter von 7 Jahren verbessern Kinder dann einfache Fähigkeiten für Aktivitäten des täglichen Lebens. Abhängig von Umweltgegebenheit, kulturellen Einflüssen und inhärenten Faktoren werden Kinder im Alter von 13 Jahren zunehmend auch komplexe und sehr präzise Bewegungsabfolgen weiterentwickeln, die insbesondere für die Ausübung bestimmter Sportarten benötigt werden. Ab einem Alter von 14 Jahren, also mit dem Übertritt in die Phase des „lebenslangen Lernens“, praktizieren und nutzen Kinder bzw. Jugendliche schließlich die Fähigkeiten, die letztlich den Unterschied ausmachen werden zwischen einem Leistungssportler und einem Nicht-Leistungssportler, wobei in diesem Zusammenhang sicherlich auch genetische Unterschiede eine Rolle spielen. Hier liegt ein enormes Potenzial für eine Verbesserung der Entwicklung spezifischer Fähigkeiten für bestimmte Sportarten, und der Großteil der Forschung über junge Sportler befasst sich heute überwiegend mit dieser Altersgruppe ab 14 Jahren. Dagegen scheint der Versuch, spezielle Fähigkeiten in den dafür ungeeigneten Stadien der Reifung zu entwickeln und zu fördern, nur von begrenztem Nutzen zu sein 15.
Wie zu erwarten entwickelt sich das Zentralnervensystem eines Hundewelpen sehr viel schneller als das eines Menschen. Hundewelpen erreichen die Reife des Rückenmarks bereits im Alter von sechs Wochen und haben bereits im Alter von vier Monaten ein reifes Gehirn mit 96 % der adulten Hirnfunktion 16. Im Unterschied zur zeitlichen Entwicklung scheinen die Richtung und die Abfolge der neuromotorischen Entwicklung bei Hundewelpen aber ganz ähnlich zu verlaufen wie beim Menschen. Hundewelpen werden mit intakter vestibulärer Funktion geboren, so dass sie von Anfang an die für das Saugen bei der Hündin geeignete Haltung einnehmen können. Bei der Geburt haben Welpen keine Muskelkoordination und keine Gewicht-tragende Funktion der Gliedmaßen, bereits im Alter von 10 bis 14 Tagen entwickeln sie aber eine aufrechte Haltung (Abbildung 2). Erste Gewicht-tragende Schritte mit den Schultergliedmaßen werden 5-6 Tage nach der Geburt beobachtet, gefolgt von Gewicht tragenden Schritten mit den Beckengliedmaßen im Alter von etwa 7-10 Tagen. Im Alter von zwei Wochen sind Hundewelpen dann in der Lage, ihr Gewicht sowohl mit den Schulter- als auch mit den Beckengliedmaßen zu stützen, und bereits im Alter von 18 bis 21 Tagen können sie sich mit unkoordiniertem Gang vorwärtsbewegen. Spinale und myotaktische Reflexe können innerhalb von wenigen Tagen nach der Geburt ausgelöst werden, sie sind aber zunächst sehr schwach und bis zum Alter von drei Wochen nur schwierig zu interpretieren, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Muskeltonus weiterentwickelt ist. Der Stellreflex, also die taktil ausgelöste Stehbereitschaft der Gliedmaßen (Schultergliedmaßen zuerst) ist mit dem Alter von 5 Wochen konstant ausgeprägt, und im Alter von 6-8 Wochen (mit gewissen rassespezifischen Variationen) zeigen die Welpen adulte Haltungs- und Gleichgewichtsfähigkeiten, einschließlich Haltungsreaktionen, zunächst der Schultergliedmaßen, gefolgt von den Beckengliedmaßen 17.
Bess J. Pierce
In der Entwicklung des Verhaltens beobachtet man bei Hundewelpen die sensible Phase der Sozialisierung, die im Alter von 13 Wochen endet. Entscheidend wichtig für die Entwicklung von Arbeitshundewelpen während dieser Phase ist eine sachgerechte Manipulation der Umwelt und eine Exposition gegenüber vielfältigen visuellen, akustischen und taktilen Stimuli. Eine planvolle Exposition von Welpen gegenüber Zwingern, häuslichen Umgebungen und Menschen führt nachweislich zu einer Reduzierung von Stress und verändertem Verhalten (Abbildung 3) und damit bei Arbeitshunden letztlich zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit 18.
Genetische Faktoren, wie zum Beispiel die Körperzusammensetzung, beeinflussen die Leistungsfähigkeit nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Durch geeignete Manipulationen der Umwelt, wie zum Beispiel gezieltes neuromuskuläres Training, können genetisch bedingt suboptimale Fähigkeiten jedoch dramatisch verbessert werden. Eine Studie an Pferden 19 zeigt, dass nur 35 % der Schnelligkeitsleistung mit Hilfe der Genetik erklärt werden können, während die restlichen 65 % auf Umweltfaktoren wie Ernährung, Training und Management zurückzuführen sind. Bei Hunden wurden diese Zusammenhänge bislang nur in geringem Maße untersucht, man weiß heute aber, dass suboptimale genetische Attribute bei Hunden durch eine frühe Konditionierung bis zu einem gewissen Grad überwunden bzw. kompensiert werden können. Untersuchungen zufolge führt das Trainieren von Arbeitshundewelpen an fünf Tagen pro Woche in einer kontrollierten Umwelt zu verbesserten Scores für Antrieb und Selbstvertrauen sowie zu einer Leistungssteigerung bei einigen Aufgaben, die von Spürhunden bei der United States Transportation Security Administration verlangt werden 20. Als Vergleichsgruppe dienten Welpen, die nur eine Stunde pro Woche trainiert wurden. Unklar bleibt jedoch, ob es eine kritische Mindesthäufigkeit für entsprechende Trainingseinheiten bezüglich der erwünschten Leistungsverbesserungen gibt. Zollhunde in Australien zeigten im Alter von drei Monaten Fähigkeiten, die zu einem gewissen Grad eine Vorhersage ihrer Leistungsfähigkeit als adulte Hunde zuließen 21. Eine positive Verstärkung entsprechender Fähigkeiten ging mit erhöhten Erfolgsraten einher, woraus zu schließen ist, dass Interventionen mit einem Einfluss auf die neuronale Entwicklung bei Welpen bereits unter 12 Wochen von Vorteil sein können.
Eine frühe Sozialisierung bei Hundewelpen ist eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung einer guten Mensch-Tier-Bindung, aber auch für die Ausbildung einer Resilienz und nicht zuletzt die Entwicklung einer adäquaten Kommunikation mit Menschen. Dies gilt sowohl für Arbeits- und Leistungshunde als auch für Familienhunde. Im Kern geht es bei allen Sozialisierungsprogrammen darum, Hundewelpen einer breiten Vielfalt neuer, ungewohnter Stimuli auszusetzen, einschließlich Menschen, Tiere und verschiedener Umgebungen. Bei Welpen, die in professionellen Zuchteinrichtungen oder Arbeitshundezwingern aufgezogen werden, ist die Wirkung solcher Programme sogar noch signifikanter. Während ihrer ersten Lebenswochen sind die noch unbeweglichen Hundewelpen besonders sensibel für mangelnde taktile, thermische und lokomotorische Stimuli 22. Das Handling durch Menschen und andere physikalische Stimuli sollten deshalb integraler Bestandteil der Erfahrungen von Hundewelpen während der ersten drei Lebenswochen sein 22. Beurteilt wurde in diesem Zusammenhang ein entsprechendes Programm bei einer Population von Arbeitshundewelpen, das auf der Anwendung definierter Stimuli zwischen dem dritten und dem sechzehnten Tag nach der Geburt basierte. Die Manipulationen wurden einmal täglich für jeweils 3-5 Sekunden durchgeführt und umfassten das Verändern der Kopf- und Körperposition, die Applikation interdigitaler taktiler Stimulation und eine thermische Stimulation durch kurzzeitiges Setzen der Welpen auf ein feuchtes, im Kühlschrank gekühltes Handtuch. Die Welpen, die diese stimulatorischen Behandlungen erhielten, waren entdeckungsfreudiger und aktiver, durchsetzungsfähiger in kompetitiven Situationen, und in Problemlösungsszenarien waren sie ruhiger, zeigten weniger Stresssignale und machten weniger Fehler 23. Ab einem Alter von drei Wochen bis zum Alter von etwa 12-14 Wochen – also dem Rest der kritischen Sozialisierungsperiode – können Hundewelpen allmählich komplexeren visuellen, akustischen und taktilen Stimuli ausgesetzt werden. Die Konfrontation mit neuen, ungewohnten Oberflächentexturen, Hindernissen und anderen Umweltstimuli kann mit der frühen neuromuskulären Konditionierung zusammenfallen (Abbildung 4).
Sozialisierungsprogramme für Hundewelpen sollten sich auf Gleichgewicht und Stabilität, die grundlegende funktionelle Fitness und – eventuell – auf bestimmte Fähigkeiten für spezifische Aktivitäten fokussieren. Mit dem Eintritt in die dritte Lebenswoche und dem Beginn unkoordinierter Bewegungen können spezifischere Interventionen zur Förderung des motorischen Lernens eingeleitet werden, wie zum Beispiel unterstützte statische Gleichgewichtsübungen, indem man den Welpen auf einen leicht instabilen Untergrund, wie zum Beispiel ein Schaumstoffkissen stellt. Wenn der Welpe beginnt, zu laufen und seine Koordination allmählich verbessert (im Alter von drei bis sechs Wochen), können die Gleichgewichtsübungen etwas dynamischer gestaltet werden, indem man den Welpen beispielsweise über einen nachgebenden, wogenden Untergrund laufen lässt, wie z. B. ein Schaumstoffkissen oder eine Matratze. Nach Entwicklung des taktilen Stellreflexes im Alter von etwa fünf Wochen können zusätzlich kleine Hindernisse und variierende Geländestrukturen in das Training eingebaut werden.
Ein altersgerechtes propriozeptives Training ist insbesondere für die Entwicklung der Beckengliedmaßen entscheidend wichtig, da untrainierte Hunde typischerweise eine unzureichende Körperwahrnehmung im Bereich der Hinterhand haben, die für eine sichere und koordinierte Überwindung von Hindernissen erforderlich ist. Im Alter von 12 bis 16 Wochen kann man Welpen allmählich komplexere Aufgaben stellen, wie zum Beispiel das Ein- und Aussteigen aus einer Kiste, das Laufen über einen moderat instabilen Untergrund, wie z. B. eine Balancierscheibe oder aufblasbare Trainingshilfen. Um das Wenden während des Laufens zu trainieren, können abduktorische, adduktorische und rotatorische Übungen in das Training integriert werden (Abbildung 5). In diesem Alter kann man auch mit einem leichten kardiovaskulären Training beginnen. Besonders geeignet sind hier zum Beispiel kurze 30-sekündige Schwimmeinheiten oder das Waten durch Wasser, um Spielzeug hinterherzujagen (Abbildung 6). Ab einem Alter von 4 bis 6 Monaten können wir Welpen komplexere funktionelle Aufgaben auf instabilem Untergrund stellen, wie zum Beispiel gezielte Positionsveränderungen (Steh-Sitz-Steh, Steh-Platz-Steh) (Abbildung 7), oder das Zurückkehren aus extremen Positionen. Weitere geeignete Übungen in dieser Phase sind kombinierte Bewegungen wie das Wenden während des Überwindens von Hindernissen oder während des Kriechens. In dieser Phase sollten allmählich auch gezielt auf bestimmte spätere Anforderungen ausgerichtete Aktivitäten und problemlösende Aufgaben eingeführt werden, wie zum Beispiel das Überwinden von Hindernissen für eine Belohnung. Zudem kann jetzt die Dauer der Schwimmeinheiten verlängert werden (auf 1-2 Minuten pro Einheit). Welpen im Alter von 6 bis 12 Monaten können allmählich immer spezifischere und feinere Bewegungen abverlangt werden, wie zum Beispiel das Laufen über Leitersprossen, Suchübungen auf instabilem Untergrund, das Hinauf- und Herunterlaufen über Rampen oder das Laufen mit den auf einem Rollwagen stehenden Schultergliedmaßen. Darüber hinaus sollten in dieser Phase auch gezielte Verfeinerungen der motorischen Bewegungen der in vorangegangenen Phasen eingeführten funktionellen Fähigkeiten gefördert werden. Ab einem Alter von 12 Monaten können hochspezifische Fähigkeiten noch weiter verfeinert werden mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der für den Hund zukünftig vorgesehenen Aufgaben oder sportlichen Anforderungen zu maximieren. Dazu gehören unter anderem der graduelle Aufbau komplexer Agility-Bewegungen sowie verschiedene Übungen auf der Basis hoher Geschwindigkeiten, hoher Belastungen oder eines explosiven Antriebs 16.
Wichtig ist, dass Konditionierungsprogramme für Hundewelpen sicher und stets an den Stand ihrer neuromotorischen Entwicklung angepasst sind, um das Risiko von Verletzungen bestimmter Strukturen zu reduzieren, wie zum Beispiel offener Epiphysenfugen, die bei jungen Hunden mit unreifem Skelett zu den verletzungsanfälligsten Strukturen gehören 24. Bei den meisten großen Hunderassen sind die Wachstumsfugen bis zu einem Alter von etwa 12 Monaten offen. Während bei jugendlichen humanen Sportlern plyometrische Übungen integraler Bestandteil vieler Trainingsprogramme sind, sollten bei Hundewelpen mit unreifem Skelett Übungen mit wiederholten, starken Krafteinwirkungen (z. B. das Herunterspringen aus großer Höhe oder lang andauerndes Rennen) vermieden werden.
Die in diesem Artikel beschriebenen Konditionierungsmaßnahmen zielen in erster Linie darauf ab, die Leistungsfähigkeit von Arbeitshunden zu verbessern und gleichzeitig ihr Verletzungsrisiko zu reduzieren. Progressive Manipulationen von Umweltstimuli sind aber grundsätzlich für alle Hundewelpen von Vorteil, vom Familienhund bis hin zum professionellen Hochleistungssporthund. Auf diese Weise erlangen Hunde komplexe Problemlösungsfähigkeiten, ein verbessertes Selbstbewusstsein und eine bessere Leistungsfähigkeit, sowohl bei grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens als auch bei komplexen funktionellen Aufgaben. Praktische Tierärzte sollten die Stadien der neuronalen Entwicklung und des motorischen Lernens verstehen und dieses Wissen für die Empfehlung progressiver funktioneller Trainingsprogramme einsetzen, um so zum Heranwachsen von Hundewelpen mit stärkerer Mensch-Tier-Bindung, einem reduzierten Verletzungsrisiko und einer insgesamt besseren Lebensqualität beizutragen.
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Bess J. Pierce
Dr. Pierce errang den Grad eines BSc in Biologie an der Tulane University, und erhielt den Grad des MS in Wildtierbiologie sowie ihre Mehr lesen
Andrea L. Henderson
Dr. Henderson ist Major des Veterinary Corps derUnited States Army und Chief of Sports Medicine and Rehabilitation in San Antonio, Texas. Sie absolvierte ihre Residency im Bereich Sportmedizin und Rehabilitation und erwarb 2014 den Grad eines Master of Science (Schwerpunkt Kinesiologie) an der Universität von Tennessee in Knoxville sowie im Jahr 2016 die Board Certification des American College of Veterinary Sports Medicine and Rehabilitation (Dip. ACVSMR). Mehr lesen
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