Tägliche Herausforderungen
Dieses Kapitel befasst sich mit einigen schwierigen Situationen, denen sich praktische Tierärzte tagtäglich stellen müssen...
Ausgabe nummer 1 Kommunikation
veröffentlicht 20/02/2020
Auch verfügbar auf Français , Italiano , Português , Română , Español , English und ภาษาไทย
Die im Folgenden beschriebenen Kommunikationsskills sind essenzielle Voraussetzungen für die Entwicklung einer kollaborativen Partnerschaft zwischen Tierarzt und Kunden, zwischen Praxismitarbeitern und Kunden und zwischen einzelnen Praxismitarbeitern. Diese Skills repräsentieren den Kern der klinischen Kommunikationsfertigkeiten, die zu mehr Gemeinsamkeit, stärkeren Beziehungen und besserer Koordination der medizinischen Versorgung, aber auch zu weniger Konflikten und weniger Beschwerden führen können. Beginnen wir mit der nonverbalen Kommunikation.
Das Überprüfen unserer Interpretationen des Nonverbalen ist von zentraler Bedeutung für eine leichtere Entscheidungsfindung und das Eingehen auf Erwartungen und Bedürfnisse unserer Kunden.
Die nonverbale Kommunikation umfasst sämtliche verhaltenstechnische Signale zwischen interagierenden Individuen außerhalb des verbalen Inhalts. Die Schätzungen variieren zwar, man vermutet jedoch, dass 80 % unserer Kommunikation auf der nonverbalen Ebene stattfindet. Zudem geht man davon aus, dass unsere Gefühle und Emotionen gegenüber einer anderen Person vorwiegend über nonverbale Signalwege kommuniziert werden, während der Inhalt, also das, was wir sagen, eher mit dem Denken assoziiert ist. In den meisten Situationen findet das Kommunizieren unserer Gefühle und Emotionen unwillkürlich und gelegentlich sogar vollständig außerhalb unserer Kontrolle statt.
Man unterscheidet vier Kategorien der nonverbalen Kommunikation (Abbildung 1) 1:
Kinesik beschreibt Verhaltensweisen wie Gesichtsausdrücke, die allgemeine Körperspannung, Gesten, Körperhaltungen und Bewegungen. Dabei handelt es sich um typische nonverbale Verhaltensweisen, die wir zu einem gewissen Grad willkürlich kontrollieren können (Abbildung 2).
[am Ende dieses Abschnittes finden Sie einige Antworten auf diese Fragen]
Die Proxemik beschreibt, wie sich Menschen räumlich zueinander anordnen. Dies umfasst die räumliche Distanz zwischen Tierarzt und Kunden, den Winkel, in dem sich der Tierarzt im Verhältnis zum Kunden positioniert, aber auch vertikale Höhenunterschiede und physische Barrieren wie Untersuchungstische, Computer oder auch das Tier selbst (Abbildung 3).
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Der Begriff Parasprache beschreibt sämtliche vokale Qualitäten: Tonhöhe, Sprechrate, Rhythmus, Lautstärke und Betonung (Abbildung 4). Wir setzen diese vokalen Qualitäten ein, um mit denselben Worten recht unterschiedliche Botschaften zu transportieren: „Ich gehe jetzt zur Arbeit“ vs. „Ich gehe jetzt zur Arbeit“ vs. „Ich gehe jetzt zur Arbeit“. Zu beachten ist, dass es hierbei zum Teil auch erhebliche kulturelle Unterschiede gibt. So werden zum Beispiel in einigen Kulturen Tonlage und Tempo akzentuiert, während die Betonung in anderen Kulturkreisen auf bestimmte Worte gelegt wird. Eine warme und einladende Stimme kann Entspannung und Wohlbefinden bei Kunden schaffen, und ihnen helfen, leichter über ihre primären oder eigentlichen Sorgen und Anliegen zu sprechen. Diese Gefühlslage kann beim Kunden darüber hinaus eine größere Offenheit gegenüber den vom Tierarzt kommunizierten Informationen und Empfehlungen schaffen.
Autonomes Verhalten beschreibt die vom autonomen Nervensystem gesteuerten Verhaltensweisen. Dies ist die Kategorie der nonverbalen Kommunikation, über die wir nur sehr wenig oder gar keine willkürliche Kontrolle haben. Es ist sehr hilfreich, die genaue Beobachtung dieser Verhaltensweisen zu erlernen, da sie oft Hinweise darauf geben, dass eine Person ihren inneren Zustand verändert und starke Empfindungen entwickelt gegenüber Dingen, die im Gespräch gesagt werden oder gegenüber der Art und Weise der Konsultation (Abbildung 5). Die Gesichtsfarbe kann sich von neutral zu rot oder blass verändern, die Bindehäute können beginnen zu glänzen als frühes Zeichen der Tränenbildung, der Kunde kann sichtlich schwitzen oder Sie spüren dies beim Handschlag. Und Sie können erkennen, wenn eine Person hoch im Brustraum atmet anstatt tief im Abdomen – oder sogar die Luft anhält, wenn Sie ein bestimmtes Thema ansprechen.
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Es ist wichtig, stets das Gesamtmuster der nonverbalen Antworten des Gegenübers zu lesen, und weniger ein einzelnes Anzeichen, da sehr häufig widersprüchliche Botschaften gesendet werden. An erster Stelle muss darauf geachtet werden, ob die nonverbale Kommunikation eines Kunden etwas anderes signalisiert, als das, was er sagt. Voraussetzung hierfür ist eine verstärkte Aufmerksamkeit für die nonverbale Kommunikation: Hat der Kunde Tränen in den Augen? Bricht er den Augenkontakt ab? Schaut er auf seine Uhr? Zeigt er Emotionen wie Ärger, Furcht, Verwirrung, Hilflosigkeit oder Trauer? Der zweite Schritt besteht darin, zu reflektieren, was Sie sehen oder was Ihrer Vermutung nach im Kunden vorgeht. Eine widersprüchliche Botschaft entsteht dann, wenn die verbalen und die nichtverbalen Kanäle nicht übereinstimmen. Einige Experten für nonverbales Verhalten bezeichnen gemischte, widersprüchliche Botschaften auch als „Non-Verbal Leakage“ oder „Deception“. In relativ vielen Fällen bedeutet eine widersprüchliche Botschaft, dass es für einen Kunden auf irgendeine Weise nicht ausreichend sicher ist, dem Tierarzt gegenüber das offenzulegen, was er denkt oder will. Und sehr oft liegt hier eine inhaltliche Meinungsverschiedenheit zwischen Kunde und Tierarzt zugrunde.
Was machen wir also mit gemischten, widersprüchlichen Botschaften? An aller erster Stelle müssen Sie die Voraussetzungen für eine Maximierung des Rapports1 mit Hilfe nonverbaler Hinweise schaffen, beginnend bei Ihnen und Ihrer Praxis. Stellen Sie sicher, dass jeder Aspekt der Praxis einladende Botschaften an Kunden und deren Kinder sendet. Gestalten Sie Praxisräume und Sprechzimmer so, dass sie Wohlbefinden und Behaglichkeit für Kunden und Patienten ausstrahlen.
1 Unter Rapport versteht man in der Psychologie den Zustand der Bezogenheit von Menschen aufeinander, zum Beispiel in der Kommunikation. Je besser der Rapport, desto „enger‟ ist die Beziehung – und damit auch die Chance, mit dem Gegenüber kooperativ für beide Seiten vorteilhafte Ergebnisse zu erreichen.
Im nächsten Schritt nehmen Sie eine Selbsteinschätzung Ihrer eigenen nonverbalen Kommunikation vor. Achten Sie dabei zunächst auf vertikale Höhenunterschiede. Thronen Sie hoch über dem Kunden, um auf den Patienten herabzuschauen? Welche Art von zwischenmenschlicher Distanz haben Sie geschaffen, um den Rapport zu maximieren? Sind Sie zu nah am Kunden oder zu weit von ihm entfernt, um eine entspannte Konversation zu führen? Welche Art von Barrieren können einen maximalen nonverbalen Rapport verhindern, zum Beispiel Untersuchungstische oder ein Computer? Achten Sie auf Ihre Tonlage und darauf, wie viel Sie sprechen im Verhältnis zu dem, wie viel der Kunde spricht.
Dann ist es an der Zeit, die Diskrepanz anzusprechen zwischen der verbalen und der nonverbalen Kommunikation des Kunden, zum Beispiel:
„Frau Müller, wir sind uns zwar darüber einig geworden, dass wir einige zusätzliche Tests durchführen sollten, um herauszufinden, was Ihrem Hund fehlt. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie immer noch ein wenig unsicher sind mit dieser Entscheidung.“ [Pause, und Frau Müller antworten lassen]
Nehmen Sie die nonverbalen Signale Ihrer Kunden auf, entschlüsseln Sie diese und – am wichtigsten – überprüfen Sie, ob Ihre Interpretationen der nonverbalen Signale korrekt sind, da dies eine ganz entscheidende Voraussetzung ist für das Verständnis der Emotionen und Gefühle des Kunden.
Der dritte Schritt ist das Einbauen der Antwort des Kunden in Ihre nächste Frage oder in Ihren nächsten Kommentar. Nehmen wir zum Beispiel an, Frau Müller antwortet wie folgt auf Ihre Frage, ob sie unsicher ist bezüglich weiterer Tests:
„Ja, ich bin unsicher. Es wurden bereits eine ganze Menge Tests durchgeführt, und wir haben nichts Neues über den Zustand meines Hundes erfahren, ich möchte eigentlich nicht noch mehr Geld ausgeben”.
Wie könnten Sie antworten?
Denken Sie einen Augenblick nach über die Worte, die Sie in dieser Situation verwenden würden, bevor Sie die Möglichkeit unten anschauen.
Eine Möglichkeit wäre:
„Danke, dass Sie mir Ihre Bedenken mitteilen, Frau Müller. Die zwei zusätzlichen Tests, die ich Ihnen vorschlage – Abklatschpräparate und ein Hautgeschabsel – sind die nächsten Schritte nach der Blutuntersuchung, die wir bereits durchgeführt haben. Diese Tests helfen uns, herauszufinden, warum Ihr Hund Juckreiz hat und sich kratzt.“
Sie sehen in diesem Beispiel, dass die Tierärztin erkannt hat, dass Frau Müller verstimmt ist und sich weigert, mehr Geld auszugeben, nur um zu hören, dass die Tierärztin immer noch nicht weiß, was ihrem Hund fehlt. Sie begegnet der Verweigerungshaltung von Frau Müller, indem sie begründet, auf welche Weise die beiden zusätzlichen Tests helfen können, herauszufinden, was erforderlich ist, um den Patienten zu behandeln.
Die Bedeutung des passenden nonverbalen Verhaltens bei der Entwicklung von Rapport kann nicht stark genug betont werden. Das Erkennen und Aufnehmen der nonverbalen Signale des Kunden, das Entschlüsseln dieser Signale und dann – am allerwichtigsten – das Überprüfen, ob Ihre eigenen Interpretationen dieser Signale korrekt sind, sind entscheidende Voraussetzungen für das Verständnis der Emotionen und Gefühle des Kunden. Nur so gelingt es, die Konversation fortzusetzen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, Entscheidungen im besten Interesse des Patienten zu treffen, wobei gleichzeitig die Ansichten, die Erwartungen und die Bedürfnisse des Kunden berücksichtigt werden.
Bonvicini K. (2003) Bayer Animal Health Communication Project. It goes without saying. New Haven (CT): Institute for Healthcare Communication.
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